Landesverfassungsgericht verhandelt über Piraten-Klage gegen Extra-Diäten

Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht verhandelt am

Freitag, 9. August 2013, 10:00 Uhr,
im Sitzungssaal 6
des Schleswig-Holsteinischen Landesverfassungsgerichts,
Brockdorff-Rantzau-Str. 13, 24837 Schleswig

über ein Organstreitverfahren, das vier Abgeordnete der Piratenfraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag anhängig gemacht haben (Aktenzeichen LVerfG 13/12). Sie wenden sich gegen einen Teilaspekt der Abgeordnetenentschädigung und zwar gegen die Zahlung einer zusätzlichen Entschädigung von 45 % auf die Grundentschädigung an die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Fraktionen im Landtag. Diese beziehen durch die Zulage eine monatliche Diät von über 12.000 Euro brutto einschließlich Altersvorsorgebeitrag; ein so hohes Einkommen haben nur 1% aller Steuerzahler in Deutschland.

Die Kläger Angelika Beer, Sven Krumbeck, Uli König, Wolfgang Dudda

Die Antragstellerin und die Antragsteller begehren die Feststellung, dass die entsprechende Regelung in § 6 Abs. 2 Nr. 5 des Schleswig-Holsteinischen Abgeordnetengesetzes (AbgG) gegen Art. 11 Abs. 1 Satz 2 der Landesverfassung (LV) verstößt. Sie sind der Auffassung, Parlamentarische Geschäftsführerinnen und Parlamentarische Geschäftsführer übten keine politisch besonders herausgehobene parlamentarische Funktion aus, weshalb die Gewährung einer Zulage an sie wegen Verstoßes gegen die Freiheit des Mandats und den Grundsatz der Gleichbehandlung der Abgeordneten verfassungswidrig sei. Denn es bestehe die Gefahr, dass das parlamentarische Handeln am Leitbild einer „Abgeordnetenlaufbahn“ und dem Erreichen einer höheren Einkommensstufe ausgerichtet werde. Außerdem verstärke sich durch Funktionszulagen die Abhängigkeit der die entsprechende Funktion anstrebenden Abgeordneten von der politischen Gruppe, der sie angehörten. Die Antragstellerin und die Antragsteller stützen ihre Argumentation insbesondere auf das sogenannte 2. Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2007 (- 2 BvH – 3/91 -, BVerfGE, 102, 224), in dem es in einem Landesorganstreitverfahren um die Frage ging, ob Abgeordneten des Thüringer Landtages mit besonderen parlamentarischen Funktionen eine Zulage zur Grundentschädigung gezahlt werden darf. In diesem Urteil heißt es:

Der Erlass von § 5 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Abgeordneten des Thüringer Landtags (Thüringer Abgeordnetengesetz) vom 7. Februar 1991 hat gegen § 2 Absatz 1 Satz 2 der Vorläufigen Landessatzung für das Land Thüringen vom 7. November 1990 in Verbindung mit Artikel 38 Absatz 1, Artikel 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Grundgesetzes verstoßen, soweit danach parlamentarische Geschäftsführer der Fraktionen, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und die Ausschussvorsitzenden zusätzliche Entschädigungen erhalten.

Siehe auch die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts „Funktionszulage nur für Fraktionsvorsitzende zulässig„.

Der Landtag als Antragsgegner hält den Antrag aus verschiedenen Gründen bereits für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet. Insbesondere macht er geltend, er dürfe kraft seiner Autonomie besonders zu entschädigende Funktionsstellen schaffen, um sich selbst zu organisieren und dadurch in den Stand zu setzen, seine Aufgaben zu erfüllen. Im Fraktionenparlament sei ein leistungsfähiges Fraktionenmanagement, das durch die Fraktionsvorsitzenden und die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer wahrgenommen werde, unabdingbar. Diese hätten politische Spitzenämter inne; sie trügen hohe politische Verantwortung und erfüllten Aufgaben, die das parlamentarische Alltagsgeschehen maßgeblich beeinflussten und ohne die der Landtag nicht arbeitsfähig sei. Eine zusätzliche Vergütung sei gerechtfertigt.

Das Gericht hat alle Fraktionen im Landtag und die Gruppe der für den SSW in den Landtag gewählten Abgeordneten um eine schriftliche Stellungnahme gebeten. Es ist beabsichtigt, alle Fraktionsvorsitzenden und den Vorsitzenden des SSW im Landtag als sachkundige Dritte in der mündlichen Verhandlung anzuhören.

Geplanter Ablauf der mündlichen Verhandlung am 9. August 2013, 10:00 Uhr

  1. Begrüßung, kurze Einführung, Feststellung der Anwesenheit der Beteiligten
  2. Beendigung der Film- und Tonaufnahmen ( vgl. § 14 Abs.1 Ziff. 1 LVerfGG )
  3. Eingangsstellungnahmen der Beschwerdeführer, des Bevollmächtigten des
    Landtages sowie der sachkundigen Dritten (jeweils max. 5 Minuten)
  4. Zur Zulässigkeit des Antrages
  5. Zum verfassungsrechtlichen Maßstab:
    Parlamentsautonomie einerseits sowie Freiheit und Gleichheit des Abgeordnetenmandats andererseits;
    Notwendigkeit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art 100 Abs. 3 GG?
  6. Zahl und Umfang der im Schleswig-Holsteinischen Landtag gewährten Funktionszulagen
  7. Beinhaltet die Tätigkeit des Parlamentarischen Geschäftsführers oder der Parlamentarischen Geschäftsführerin in Schleswig-Holstein eine besonders
    herausgehobene politisch – parlamentarische Funktion; ist diese normativ zu verankern?
  8. Schlussfolgerungen

Gesetzestext

§ 6 AbgG: Entschädigung

(1)   Abgeordnete erhalten eine monatliche Entschädigung in Höhe von 6.700 Euro (ab 1. Juli 2013 7.549,55 Euro).

(2)   Als zusätzliche Entschädigung für die Ausübung besonderer parlamentarischer Funktionen erhalten

  1. die Präsidentin oder der Präsident 72 v.H.,
  2. die Vizepräsidentinnen und /oder Vizepräsidenten 13 v.H.,
  3. die Fraktionsvorsitzenden 72 v.H.,
  4. eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter der dänischen Minderheit, wenn die Stärke einer Fraktion nicht erreicht wird, 45 v.H. und
  5. die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen oder die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen 45 v.H. der Entschädigung gemäß Abs. 1.

(3) – (6) […]

Artikel 11 Landesverfassung: Stellung der Abgeordneten

(1)   Die Abgeordneten vertreten das ganze Volk. Bei der Ausübung ihres Amtes sind sie nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge und Weisungen nicht gebunden.

(2)   Die Abgeordneten haben das Recht, im Landtag sowie in den ständigen Ausschüssen und in den Sonderausschüssen des Landtages Fragen und Anträge zu stellen. Sie können bei Wahlen und Beschlüssen ihre Stimme abgeben; Stimmrecht in den Ausschüssen des Landtages haben nur die Ausschussmitglieder.

(3)   Die Abgeordneten haben Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Dieser Anspruch ist weder übertragbar, noch kann auf ihn verzichtet werden. Das Nähere regelt ein Gesetz.

Dokumente zum Verfahren

Weitere Informationen

Die Abgeordnetendiäten sind aus unserer Sicht auch ohne Zulage so hoch, dass sie die Arbeit der parlamentarischen Geschäftsführer angemessen entschädigen (über 8.800 Euro einschließlich Altersvorsorgebeitrag). Diäten-Zulagen schaffen die Gefahr, dass Posten allein aus finanziellen Gründen angestrebt werden. Wir fordern deshalb gleiche Bezahlung für gleiche Abgeordnete anstelle überkommener Hierarchien.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon im Jahr 2000 entschieden, dass Funktionszulagen nur für Fraktionsvorsitzende zulässig sind. Wir PIRATEN halten es für inakzeptabel, dass der Schleswig-Holsteinische Landtag – wie auch viele andere deutsche Parlamente – die Verfassung nicht einhält, wenn es um Abgeordnetendiäten geht. Dies zerstört das öffentliche Vertrauen in die Integrität der Volksvertreter und gefährdet dadurch unsere Demokratie.

Informationen zu der bundesweiten Problematik verfassungswidriger Extra-Diäten hat „Report Mainz“ zusammengetragen.

Wir PIRATEN pochen nicht nur mit dieser Klage, sondern immer wieder darauf, dass Bürgerinteressen vor Eigeninteressen von Abgeordneten gestellt werden, etwa mit der Ablehnung von Fraktionsmittel- und Diätenerhöhungen, mit dem Verzicht auf Dienstwagen und mit meiner Rückzahlung von Zulagen in Höhe von über 33.000 Euro an das Land. Wir haben einen Gesetzentwurf zur Veröffentlichung der Nebeneinkünfte von Abgeordneten ebenso eingebracht wie einen Antrag zur Kenntlichmachung der Übernahme externer Gesetzentwürfe („Gesetzgebungs-Outsourcing“). Die Integrität des Staates und Antikorruption ist ein Kernanliegen der PIRATEN, dem auch ein eigenes Kapitel in unserem Bundestagswahlprogramm gewidmet ist.

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