Die Fraktion der Piraten im Schleswig-Holsteinischen Landtag beziehen zur Flüchtlingssituation grundsätzlich Stellung:
Maßstab unseres Handelns ist Artikel 1 GG:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Aus Sicht der Piratenfraktion sind Flüchtlinge Menschen, die aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Ethnie, Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, wegen ihrer politischen Überzeugung oder ihrer sexuellen Orientierung sich außerhalb des Landes befinden, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, und den Schutz dieses Landes – z.B. aufgrund von Bürgerkrieg, staatlicher Willkür oder fehlender staatlicher Strukturen – nicht in Anspruch nehmen können oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen wollen; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befinden, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, und nicht dorthin zurückkehren können oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren wollen.[1]
Aus diesem Grund wollen wir die Fluchtgründe, über die derzeit geltenden Asylgründe hinaus, erweitern und die Flucht als solche entkriminalisieren – Kein Mensch ist illegal!
Politik der Nachhaltigkeit kann und darf nicht an Schleswig-Holsteins Grenzen enden. Als Industrienation und Exportweltmeister muss sich Deutschland seiner politischen Verantwortung stellen, denn die Ursachen für die Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge liegen unter anderem darin, dass die Herkunftsstaaten oft nur als Rohstofflieferanten für unsere Wirtschaft dienen und den Menschen keine Perspektiven bieten. Nur der Aufbau einer lokalen Wirtschaft, die auch den Eigenbedarf des Landes deckt, wird zu Arbeit und Wohlstand führen, ohne dass diese Staaten auf ausländische Hilfs- und Transferleistungen angewiesen sind.
Zur Bekämpfung von Fluchtursachen gehört u.a, sich nicht an militärischen und anderen Interventionen zu beteiligen bzw., alles zu tun, diese zu verhindern (Regime change), da dies zur Destabilisierung von Ländern und Regionen und damit Herbeiführung von Fluchtursachen beiträgt. Konfliktprävention muss der Leitfaden einer jeden Außen- und Entwicklungspolitik sein. Die Rüstungsexportpolitik ist hiermit unvereinbar.
Aufgrund der weltweiten Entwicklung in jetzigen und zukünftigen Krisen und Kriegsgebieten, aber auch aufgrund der neuen und zu erwartenden Fluchtursachen wie z.B. durch den Klimawandel, lehnen die Piraten jede Diskussion über mögliche Obergrenzen ab. Die Wahrung der Menschenrechte und die Einhaltung internationaler Verträge und Abkommen muss das oberste Gebot unserer Flüchtlingspolitik sein, denn Flüchtlingsströme lassen sich weder durch den Bau von Mauern und Grenzzäunen noch durch die Einhaltung der Haushaltsdisziplin steuern oder begrenzen.
Dieser Herausforderung wollen wir uns in Schleswig-Holstein stellen. Sowohl was unsere Verpflichtung gegenüber den Menschen bei der Unterbringung und Integration betrifft als auch politische Initiativen der Landesregierung auf Bundes- und Europaebene, um dort die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen. Eine weiteren Militarisierung der europäischen Flüchtlingspolitik lehnen wir entschieden ab und mit Sorge nehmen wir zur Kenntnis, dass von Gipfel zu Gipfel – sowohl auf Bundes- als auch auf Europaebene – das Grundrecht auf Asyl weiter ausgehöhlt wird.
Wir sind überzeugt, dass unsere Einwanderungsgesellschaft aufgrund unser Geschichte und Erfahrung der aktuellen und zukünftigen Herausforderung gewachsen ist. Die Lehren aus dem deutschen Faschismus bedeuten für uns auch, dass wir jede Form von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus, Islamophobie und Antiziganismus entschieden entgegentreten.
Er ist beunruhigend, dass erneut in Zeiten von bevorstehenden Wahlkämpfen der Parteienstreit auf dem Rücken der Flüchtlinge und deren Unterstützer ausgetragen wird. Dies schürt Ressentiments und Vorurteile und verhindert, das heute Notwendige gemeinsam zu tun. Aus diesem Grunde lehnen wir den Streit über Scheinlösungen, wie Obergrenzen, Auffanglager, Transitzonen und Abschottung an den Grenzen ab. Schengen ist ein hohes Gut der EU und darf nicht weiter verletzt werden. Das Grundrecht auf Asyl muss wieder hergestellt werden. Stammtischparolen helfen nicht weiter.
Konkret fordern wir:
- Die Flüchtlings- und Integrationspolitik ist eine Querschnittsaufgabe aller Politik- und Gesellschaftsbereiche. Daher fordern wir die Einsetzung eines Ausschuss für Integrations- und Flüchtlingspolitik. Damit wäre nicht nur die parlamentarischen Kontrolle wiederhergestellt, sondern eine realistische Möglichkeite geben den möglichen Bedarf in allen Bereichen zu analysiert und umzusetzen. Aufgabe des Ausschusses ist es, die Voraussetzung dafür zu schaffen, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt gewahrt wird und einzelne Gesellschaftsgruppen grundsätzlich nicht gegeneinander ausgespielt werden! Hierzu gehören folgende Schwerpunkte:
- Bedarf, Finanzierung und Ausstattung (Daseinsvorsorge und Kommunikation) der EAEs
- Betreuung der Flüchtlinge (zeitnahe psychologische und traumatische Betreuung)
- Wohnungsbau
- Sicherheit
- Bildung, Anerkennung von Bildungsabschlüssen und Zugang zum Arbeitsmarkt
- Integrations- und Sprachkurse
- Unterstützung, Betreuung und Gewährung der Sicherheit des Ehrenamts
- Dolmetscher und Begleitung bei Behördengängen
- Einrichtung von Internetseiten, die Hilfsangebote koordinieren, den Bedarf lokalisieren und Dolmetscherkapazitäten zusammenführen.
- Ständige Mitberatung des Gemeinde- und Städtetages
- Wir fordern die Landesregierung auf, die Kriterien der Härtefallkommission Schleswig-Holstein entsprechend der oben genannten Fluchtursachen und Gründe zu aktualisieren und zukünftig den Berichtszeitraum wieder einzuhalten.
- Aufgrund der progressiven Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins lehnen wir es ab, dass Angehörige von Minderheiten in Länder ausgewiesen werden, in denen ein solcher umfassender Minderheitenschutz nicht nur nicht existent ist, sondern sie staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind. Dies betrifft nicht nur die Sinti und Roma sondern u.a. auch Jesiden, Sufis, Kopten und Angehörige der Syrisch-Orthodoxen Kirche.
- Wir lehnen den Begriff und die Ausdehnung sicherer Herkunftsländer ab und setzten uns dafür ein, dass „Unsichere Herkunftsländer und Regionen“ rechtssicher definiert werden. Herkunftsländer, die darauf angewiesen sind, dass ausländische Streitkräfte und Unterstützungskräfte – wie z.B. die Bundeswehr – für Sicherheit und Stabilität sorgen, sind nicht sicher!
- Wir fordern eine Beschleunigung der Anerkennungsverfahren durch die rechtssichere Definition der „Unsicheren Herkunftsstaaten“ auf Basis der Berichte des UNHCR [3][4]
- Die aktuelle Lage zeigt, dass die Dublin III Verordnung gescheitert ist. Wir fordern deren Aufhebung und eine Lösung zur sozialverträglichen Verteilung der Flüchtlinge auf die EU-Mitgliedsstaaten, die Schaffung legaler Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge und Vertriebene und die Möglichkeit in den Vertretungen der EU-Mitgliedstaaten Asyl zu beantragen.
- Die Schaffung von Transitzonen lehnen wir ab, da die rechtsstaatliche Standards zur Prüfung des Flüchtlingsstatus nicht gewährt werden. Stattdessen fordern wir die zentrale Registrierung in den bestehenden EAEs und die zeitnahe und beschleunigte Bearbeitung der Asylgesuche.
- Beendigung von Frontex und EUROSUR. und Schaffung einer europäischen Küstenwache deren primäre Aufgabe die Sicherung und Kontrolle des Seeverkehrs und die Seenotrettung ist.
- Die Kriminalisierung von ehrenamtlichen Fluchthelfern lehnen wir ab.
- Wir fordern eine langfristige und dynamische Planung aller Maßnahmen über den aktuellen Bedarf hinaus. Dies beinhaltet die rechtzeitige Information, Kommunikation und Einbeziehung aller nachgeordneten Behörden, Verwaltungen und insbesondere die Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt insbesondere für Schleswig-Holstein, um das verloren gegangene Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungsfähigkeit der Landesregierung wieder herzustellen.
- Wir fordern, dass Bund und Land die Kreise und Kommunen bei der Bewältigung der derzeitigen und zukünftigen Herausforderung mit einbezieht anstatt Verantwortung und finanzielles Risiko wegzudelegieren.
- Wir fordern das Land auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass Land, Kreise und Kommunen den notwendigen finanziellen Spielraum für eine solide und langfristige Planung erhalten.
- Entlastung der Jobcenter durch Beendigung der Hartz IV Sanktionen, damit erforderliche Kapazitäten für die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt geschaffen werden.
- Humanität und christliche Nächstenliebe nach Kassenlage lehnen wir ab. Wir fordern deshalb die Landesregierung auf, unverzüglich eine Finanzierungsplanung für die kommenden Jahre vorzulegen.
- Aus diesem Grund fordern wie die Landesregierung auf, im Rahmen der Beratung des Länderfinanzausgleiches sich dafür einzusetzen, dass der 2019 auslaufende Solidaritätszuschlag („Soli“) zukünftig als Steuer erhoben und diese dem allgemeinen Steueraufkommen der Länder zugerechnet wird. Mit diesen zusätzlichen Einnahmen können die Länder Herausforderungen wie z.B. durch Flüchtende, Haushaltskonsolidierung und auch Investitionsstau gerecht werden.
- Wir fordern die Landesregierung auf, auf Begrifflichkeiten wie „Fehlanreize“ zu verzichten, da diese Vorurteile gegen jene schüren, die unsere Hilfe brauchen. Die Wiedereinführung von Sachmitteln statt Bargeld für Flüchtlinge lehnen wir als Diskriminierung ab.
- Bedürftige Gruppen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Diese Stimmungsmache bleibt geistige Brandstiftung. Wer unwidersprochen im Raum stehen lässt, dass Flüchtlinge die Armutsbedrohung in Deutschland weiter verschärfen, wer im Raum stehen lässt, dass Flüchtlinge die Renten oder Sozialgelder gefährden, beteiligt sich passiv, aber sehendes Auges, an einer Politik der Volksverhetzung. Es ist an der Zeit aufzuklären und die Ängste der Bürger zu nehmen. Das ist die ethische Verantwortung, die unsere Politiker und Landesregierung hat.
- Die Begrenzung des Familiennachzuges lehnen wir ab! Grundrechte gelten für alle gleichermaßen – und nicht nur für den Familienangehörigen, dem die Flucht als erstes geglückt ist.
- Wir fordern die Landesregierung auf, jede Form von hoheitlichen Handelns, insbesondere bei der Durchführung und Unterstützung von Abschiebungen oder den Einsatz als Sicherheitskräfte, durch die Bundeswehr zu beenden.
- Die Piratenfraktion Schleswig-Holstein stellt fest, dass die Beschlüsse des Asylgipfels der Großen Koalition und aller Ministerpräsidenten der Länder vom 5. November diametral den Forderungen des Landtags vom 22. Mai 2015 entgegenstehen. Wir fordern deshalb SPD, Grüne und SSW auf, die Beschlüsse nicht länger mitzutragen und gegen alle angekündigten Verschärfungen des Asylrechts auf Bundesebene entschieden vorzugehen.
Punkte, die auf der Klausur diskutiert werden sollen/müssen:
- 50.000 Sozialwohnungen in den nächsten 5 Jahren
- 100 % Unterrichtsversorgung – inklusive der schulpflichtigen Flüchtlingskinder und der zusätzlichen Sprachkurse
- Kindergartenplätze auch für Flüchtlingskinder (Integration)
- Ausbau der Hochschulkapazitäten um den zusätzlichen Bedarf zu decken
- mehr Studiengänge auf Englisch
- Finanzielle & personelle Unterstützung der Kreise und Kommunen bei der Verwaltung der Flüchtlinge / Baugenehmigungen usw. (Anmerkung: konkrete Vorschläge erst dann möglich, wenn belastbare Zahlen vorliegen. Hier sind Bundes und Landesregierung in der Pflicht!)
- Chancen der Digitalen Revolution und Technik nutzen um Demokratie, Menschenrechte und Zivilgesellschaft weltweit zu stärken.
- Eine glaubwürdige Bleiberechtspolitik muss auch die Stärkung der Vereinten Nationen und ausreichende Finanzierung von Hilfsorganisationen, wie dem UNHCR etc., beinhalten.
Quellen:
[1] Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 & Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 hier
[2] Flüchtlinge in Schleswig-Holstein (1945) hier
[3] UNHCR-Bericht
[4] UNHCR-Bericht
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