Hintergrund: Warum keine ‘Lex Weichert’ geschaffen werden sollte

Zusammenfassung:

Die Wiederwahlsperre wurde primär zur Sicherung der Innovationsfähigkeit des Amtes und der Verhinderung von Betriebsblindheit und Routinen eingeführt, welche die Ausübung des Amtes beeinträchtigen könnten. Die stetige Entwicklung auf technischer Ebene und des gesellschaftlichen Umgangs mit Daten macht eine besondere Innovationsfähigkeit auch auf Ebene des Datenschutzbeauftragten erforderlich. Betriebsblindheit und routinemäßiges Arbeiten fällt im Alltagsbetrieb nur selten wirklich auf. Nur wenn sie zu einem öffentlichen Skandal führen, fallen sie gelegentlich auf. Es genügt hier nicht, auf persönliche Eigenschaften des Datenschutzbeauftragten zu vertrauen. Nachhaltiger Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung erfordert auch strukturelle Sicherheiten. Diese wurden 1989 unter anderem mit der Wiederwahlsperre eingeführt.

Die Wiederwahlsperre wurde ebenso wie die Errichtung des ULD von der SPD angestoßen. Änderungen in der Bewertung der 1989 geäußerten Gründe für die Wiederwahlsperre hat die Koalition bis heute nicht behauptet. Sie setzt sich mit der Behauptung, die Wiederwahlsperre beeinträchtige die Unabhängigkeit des Datenschutzbeauftragten, in direkten Widerspruch zu der Gesetzesbegründung vor 25 Jahren. Sachliche und nicht politisch motivierte Politik setzt aber jedenfalls eine Auseinandersetzung mit der damaligen Begründung voraus.

Gesetzgebungsgeschichte:

24.08.1988: Gesetzesentwurf durch Rolf Selzer und Fraktion (SPD) (Drs. 12/36)
Beinhaltete u.a. die Wiederwahlsperre, aber auch: Abwahl nur mit 2/3 Mehrheit, nahezu eigene Personalhoheit, Ausgliederung aus dem Innenministerium

06.12.1988: Annahme i.d.F. Drs. 12/104
(Änderungen vor allem: Amtsperiode von 7 auf 6 Jahre gesenkt, materielle Voraussetzungen für Abberufung gestrichen)

01.01.1989: Inkrafttreten des Gesetzes

23.06.1999: Gesetzesentwurf (SPD, B90/Grüne) zur Errichtung des ULD (Drs. 14/2264)

13.10.1999: Annahme i.d.F. Drs. 14/2424

01.06.2000: Inkrafttreten

24.06.1999: Gesetzesentwurf (LReg) zur Novellierung des LDSG (Drs. 14/2258)

26.01.2000: Annahme i.d.F. Drs. 14/2666

01.07.2000: Inkrafttreten

04.02.2014: Gesetzesentwurf (SPD, Grüne, SSW) zur Abschaffung der Wiederwahlsperre

Hintergrund:

1978 wurde in Schleswig-Holstein nahezu zeitgleich mit dem Inkrafttreten des ersten Landesdatenschutzgesetzes der Datenschutzbeauftragte erstmalig eingerichtet. Er war in das Innenministerium eingegliedert und unterlag einer vollständigen Fachaufsicht. Fünf Jahre später wurde mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als integraler Bestandteil unserer Verfassungsordnung anerkannt.

Die folgende Auseinandersetzung um die Bedeutung dieses Rechts führte auch zu einer Beschäftigung mit den Stellen, die für seinen Schutz geschaffen wurden und dem Erfordernis ihrer Unabhängigkeit von der Exekutive, welche sie kontrollieren sollen.

Unmittelbar nach dem politischen Wechsel im Zuge der Barschel-Affäre waren in Schleswig-Holstein in der 12. Legislaturperiode lediglich SPD (46 Sitze, 62 %), CDU (27 Sitze) und der SSW (1 Sitz) im Landtag vertreten. Die Stärkung des Datenschutzbeauftragten war der erste legislative Antrag der Regierungsfraktion SPD in dieser Legislaturperiode. Hierfür wurde ein Gesamtpaket geschnürt, welches

  • Ausgliederung aus der Exekutive und Angliederung bei dem Präsidenten des Schleswig-Holsteinischen Landtages,
  • Wahl des Datenschutzbeauftragten durch den Landtag (mit einfacher Mehrheit)
  • Gesetzlich geregelte Amtsperiode
  • Abwahlbeschränkung durch 2/3-Mehrheit (und ursprünglich unter der materiellen Voraussetzung, dass die Voraussetzungen für eine Entfernung aus dem Dienst i.S.d. Beamtenrechts vorliegen; im Zuge der Beratungen gestrichen.)
  • Vorschlags- und Veto-Recht in Angelegenheiten des eigenen Mitarbeiterstabes

beinhaltete.

Die Begründung des Antrages lautete u.a.:
Die Dauer von sieben Jahren mit der Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl, garantiert sowohl die notwendige Kontinuität der Amtsführung als auch die Möglichkeit, nach 14 Jahren Amtszeit neue Initiativen zur Geltung zu bringen.

Rolf Selzer (SPD) führte in seiner Rede zu dem Antrag aus:
„Fast vier Jahrzehnte liegt es zurück dass im Schleswig-Holsteinischen Landtag ein Sozialdemokrat einen Gesetzentwurf einbrachte und dabei eine gewisse Zuversicht haben durfte, dass das von ihm eingebrachte Gesetz eine Mehrheit finden würde. Es ist übrigens kein Zufall, dass mit dieser kleinen Premiere heute ausgerechnet eine Thema zum Zuge kommt, dass mit den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in Zusammenhang steht. Es ist ebenfalls kein Zufall, wenn unser erster Gesetzesentwurf nach fast 40 Jahren einen deutlichen Hinweis darauf gibt, wie Kontrolle effektiver gestaltet werden kann, wie das Parlament sich selber stärken und die Volksvertretung mehr Gewicht gegenüber der Regierung erhalten kann.

Nach unserem Vorschlag werden wir das erste Parlament in der Bundesrepublik sein, das es sich allein vorbehält, wer sein Datenschutzbeauftragter ist. Der Datenschutzbeauftragte soll nur dem Parlament gegenüber verantwortlich seien und dem Parlament bei seinen Kontrollaufgaben helfen.

[..]

Unter einer sozialdemokratischen Landesregierung darf ein Datenschutzbeauftragter auch nicht nur den Schein ertragen müssen, er stünde in der Gefahr, in Loyalitätskonflikte zu geraten.

[..]

Umfragen bei Datenschutzbeauftragten in anderen Bundesländern und bei unserem Datenschutzbeauftragten haben ergeben, dass es von der Praxis her geboten ist, nur eine einmalige Wiederwahl zuzulassen. Mehr als andere Personen in vergleichbaren Positionen muss der Datenschutzbeauftragte stets neue Entwicklungen beobachten und vorantreiben; es wird ein unvergleichbar hohes Maß an Kreativität verlangt, die irgendwo endlich ist.“

Hans-Peter Bull, damaliger Innenminister, führte weiter aus:
„Datenschutzbeauftragter ist kein Lebensberuf. Nach längerer Zeit ist es gut, dieser Institution neue Impulse zu verleihen.“

In der abschließenden Beratung führte Rolf Selzer aus:
„[..] Einigkeit bestand schließlich auch, dass das Amt des Datenschutzbeauftragten niemals an das politische Ränkespiel und in Machtfragen einbezogen werden darf. Durch den Wahlmodus und die Amtszeit sowie nur nur einmalige Wiederwahl und die nur mit einer 2/3-Mehrheit mögliche Abwahl ist der einen Seite ein Weg gefunden worden, eine weitgehende Selbstständigkeit des Datenschutzbeauftragten sichert. Auf der anderen Seite sind dadurch Verlockungen unattraktiv gemacht worden, die darauf hinauslaufen, etwa eine Persönlichkeit der Konfrontation zur Wahl zu stellen.“

Insgesamt wurde auf die Wiederwahlsperre in den zur Verfügung stehenden Unterlagen nur wenig Augenmerk gelegt. Jedoch scheint sie maßgeblich unter dem Gesichtspunkt des Innovationsschutzes gesehen worden zu sein. Insofern stimmen die Begründungen überein, die einen Wechsel im Amt des DSB nach einer bestimmten Zeit für erforderlich halten, um Platz für neue Ideen und Methoden zu machen. Der Datenschutz ist ebenso wie die Gesellschaft einem dauerhaften Wandel unterlegen, der auch in der Amtsführung abgebildet werden muss. Mit einem Wechsel nach 10 Jahren wird dies ermöglicht.

Auf der anderen Seite ist aber – ohne dass dies im LTSH Platz fand – zu beachten, dass mit der Länge der Zusammenarbeit zwischen DSB und Ministerien und Behörden auch Verkrustungen und Betriebsblindheit immer wahrscheinlicher werden. Insofern sind zwei Amtsperioden eine hinreichende Zeit, um dem DSB einerseits eine hinreichende Kontinuität zu ermöglichen und andererseits zu starke Verkrustungen zu verhindern.

Auch verhindert eine von Vornherein beschränkte Wiederwahl, dass der DSB seine Lebensplanung auf dieses Amt ausrichtet und damit um die regelmäßige Wiederwahl bangen muss. Dies stellt jedenfalls unterbewusst einen erheblichen Einflussfaktor bei der Amtsführung dar.

Die Koalition sollte erklären können, warum diese Sicherungsvorkehrungen nicht mehr erforderlich sind und warum sie die Ziele der Wiederwahlsperre für nicht mehr sinnvoll erachtet.

Rechtsvergleich:

Der Rechtsvergleich ergibt ein uneinheitliches Ergebnis. Während der BfDI einer Wiederwahlsperre unterliegt, hat die Mehrzahl der Bundesländer eine solche nicht vorgesehen. Auch der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes unterliegt einer Wiederwahlsperre. Die kommende Datenschutzgrundverordnung sieht eine unlimitierte Wiederwahl vor, die aber wohl nicht verpflichtend ist. Vielmehr ist es den Mitgliedsstaaten möglich, die Wiederwahl zu beschränken.

Insgesamt wird man sagen können, dass die Wiederwahlsperre nicht üblich ist. Jedoch ist zugleich zu beachten, dass Schleswig-Holstein mit dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz auch eine nicht übliche Unabhängigkeit des Datenschutzes gewährleistet. Die Wiederwahlsperre kann daher auch ohne weiteres als ein Merkmal des höheren Datenschutzniveaus in Schleswig-Holstein verstanden werden.

Datenschutzbeauftragter der Europäischen Union: Unbegrenzte Wiederwahl
Bundesdatenschutzbeauftragter: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden
Hamburg: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden, 22 LDSG
Niedersachsen: Unbegrenzte Wiederwahl, § 21 LDSG
Bremen: Keine Regelung, Unbegrenzte Wiederwahl, § 24 LDSG
NRW: Keine Regelung, Unbegrenzte Wiederwahl, § 21 LDSG
RLP: Unbegrenzte Wiederwahl, § 22 LDSG
Thüringen: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden, § 35 LDSG
Hessen: Unbegrenzte Wiederwahl, § 21 LDSG
Brandenburg: Unbegrenzte Wiederwahl, § 22 LDSG
MV: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden, § 29 LDSG
Sachsen: Keine Regelung, Unbegrenzte Wiederwahl, § 25 LDSG
Sachsen-Anhalt: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden, § 20 LDSG
Bayern: Unbegrenzte Wiederwahl, § 29 LDSG
Baden-Württemberg: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden, § 20 LDSG
Saarland: Unklare Regelung, § 25 LDSG
Berlin: Unbegrenzte Wiederwahl, § 29 LDSG
Datenschutzgrundverordnung: lässt unbegrenzte Wiederwahl zu, Mitgliedsstaaten müssen dem nicht nachkommen.
Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes: Wiederwahlsperre nach zwei Amtsperioden
Landesbeauftragter für Menschen mit Behinderungen SH: Unbegrenzte Wiederwahl

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