PIRATEN wollen Bahn-Pläne zur Videoüberwachung an Bahnhöfen stoppen

CSU-Bundesinnenminister Friedrich und die Bahn sollen ihre Pläne zu einer verstärkten Videoüberwachung von Bahnhöfen aufgeben, fordern wir PIRATEN in einem heute vorgelegten Antrag. Die Begründung: Videoüberwachung lässt nach einschlägigen Untersuchungen weder eine Erhöhung der tatsächlichen noch der wahrgenommenen Sicherheit erwarten. Sinnvoll sein können stattdessen eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal.

Wir fordern, dass die Bahn offensiv über das (absolut und im Vergleich zu anderen Orten) geringe Risiko von Fahrgästen, an Bahnhöfen oder in Schienenfahrzeugen Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, aufklärt, um den verbreiteten Fehlvorstellungen diesbezüglich entgegenzuwirken. Die Bahn soll außerdem eine unabhängige Untersuchung des Nutzens und der schädlichen Nebenwirkungen von Videoüberwachung in Auftrag geben und ihren Fahrgästen mitteilen, in welchen Bereichen sie überwacht werden.

Schließlich: Zu dem geplanten „Sicherheitsgipfel“ im Februar muss die Bahn neben Regierungsvertretern und staatlichen Datenschutzbeauftragten auch unabhängige Kriminologen, Fahrgastverbände sowie Vertreter von Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen einladen. Nur so können die Interessen der Fahrgäste in die Diskussion eingebracht werden.

Der Landtag wird in zwei Wochen über den Antrag entscheiden. SPD-Landesinnenminister Breitner hat die Überwachungspläne bereits kritisiert. Auch die Polizeigewerkschaft warnt: „Angesichts des versuchten Bombenanschlags von Bonn nun eine Ausweitung der Videoüberwachung zu fordern, sei, so Witthaut, lediglich Sicherheits-Suggestion.“

Hier der Text des Antrags in voller Länge:

Entschließung zur Videoüberwachung an Bahnhöfen

  1. Der Landtag spricht sich gegen eine verstärkte Videobeobachtung oder -aufzeichnung von Fahrgästen an Bahnhöfen aus, weil dies nach einschlägigen Untersuchungen weder eine Erhöhung der tatsächlichen noch der wahrgenommenen Sicherheit erwarten lässt. Sinnvoll sein können stattdessen eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal.

  2. Der Landtag bittet die Deutsche Bahn, eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung von Wirksamkeit, Kosten, unerwünschten Nebenwirkungen und Alternativen zu Videobeobachtung oder -aufzeichnung von Fahrgästen an Bahnhöfen und in Fahrzeugen in Auftrag zu geben. Untersucht werden soll insbesondere, ob in videoüberwachten Bahnhöfen/Fahrzeugen weniger Straftaten, eine höhere Aufklärungsquote oder ein erhöhtes Sicherheitsgefühl zu verzeichnen sind als in vergleichbaren Bahnhöfen/Fahrzeugen ohne Videoüberwachung. Bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse soll die Videobeobachtung oder -aufzeichnung von Fahrgästen nicht ausgeweitet werden.

  3. Jeder Bürgerin und jeder Bürger hat ein Recht zu erfahren, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Der Landtag fordert die Deutsche Bahn auf, alle Fahrgäste darüber zu informieren, wo Videobilder von ihnen wie lange, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken erstellt und aufbewahrt werden und wie der Zugang zu den Aufzeichnungen geregelt ist.

  4. Der Landtag regt an, die Deutsche Bahn möge offensiv über das (absolut und im Vergleich zu anderen Orten) geringe Risiko von Fahrgästen, an Bahnhöfen oder in Schienenfahrzeugen Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, aufklären, um den verbreiteten Fehlvorstellungen diesbezüglich entgegenzuwirken.

  5. Der Landtag ersucht die Deutsche Bahn, zu dem geplanten „Sicherheitsgipfel“ im Februar neben Regierungsvertretern und staatlichen Datenschutzbeauftragten auch unabhängige Kriminologen, Fahrgastverbände sowie Vertreter von Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen einzuladen.

Der Landtag bittet den Präsidenten, diese Entschließung dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG zu übermitteln.

Begründung:

Im Anschluss an einen versuchten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof erwägt die Deutsche Bahn eine verstärkte Videobeobachtung und -aufzeichnung ihrer Fahrgäste. Überwachungskameras sind nach einschlägigen Studien jedoch kein geeignetes Mittel, Straftaten zu verhindern und die Sicherheit zu erhöhen (Hempel/Alisch, Evaluation der 24-Stunden-Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe, S. 6, http://pir.at/evaluationsbericht; Gill/Spriggs, Assessing the impact of CCTV, http://pir.at/gill). Sie stärken nicht einmal das Sicherheitsgefühl der Überwachten (Kleinschmidt/Kuhlmey/Fleischer, Verbesserung der subjektiven Sicherheit im öffentlichen Personennahverkehr, S. 60, http://pir.at/sicherheitsgefuehl1; Alisch/Meier/Steltner, Personalmaßnahmen in der Kundenwahrnehmung, http://pir.at/sicherheitsgefuehl2). Eine Untersuchung in London konnte auch keinen Zusammenhang zwischen der Zahl von Überwachungskameras und der Aufklärungsquote von Straftaten feststellen (London Evening Standard, Bericht vom 19.09.2007, http://pir.at/cctv).

Auf der anderen Seite kann Videoüberwachung unerwünschte Folgen haben: Videokameras führen teilweise dazu, dass Mitmenschen dem Opfer einer Straftat nicht mehr zu Hilfe kommen, weil sie mit dem Eintreffen von Sicherheitskräften rechnen – in der Regel zu Unrecht. Unter Videoüberwachung vermeiden Menschen unbefangene, kreative, individuelle Verhaltensweisen, um nicht aufzufallen. Dadurch droht zunehmend eine gleichförmige Gesellschaft zu entstehen. Es beeinträchtigt die Privatsphäre, wenn das Verhalten von Menschen beobachtet und aufgezeichnet wird, ohne dass sie dazu Veranlassung gegeben haben. Der Kuss am Bahnhof sollte nicht gefilmt, eine private SMS nicht per Kamera-Zoom mitgelesen werden. Die hohen Kosten von Video-Überwachungssystemen binden außerdem Mittel, die für sinnvolle Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und Lebensqualität fehlen. Video-Überwachungssysteme werden zum Anlass genommen, Personal einzusparen. Braucht jemand Hilfe, findet er dann keine Ansprechpartner mehr. Videoaufzeichnungen führen mitunter sogar zu schweren Fehlern. So musste der Hausmeister Donald Stellwag mehrere Jahre unschuldig im Gefängnis verbringen, weil man meinte, ihn auf der Videoaufzeichnung eines Banküberfalls zu erkennen. Stellwag wurde von Mitgefangenen gedemütigt, litt während der Haftzeit an einem Gehirntumor, erkrankte an Diabetes und ist seit seiner Entlassung dauerhaft erwerbsunfähig.

Die Kosten einer anlasslosen Videoüberwachung stehen insgesamt außer Verhältnis zu dem behaupteten Nutzen. Die durch den Abbau anlassloser Überwachung eingesparten Mittel lassen sich sinnvoller für Maßnahmen der Kriminalprävention und zur Stärkung des Sicherheitsbewusstseins einsetzen, deren Wirksamkeit erwiesen ist.

Sinnvoll sein können eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal. Wichtig ist aber auch eine Aufklärung über das bereits jetzt bestehende hohe Sicherheitsniveau.

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