Angelika Beer in der Landtagsdebatte zur Situation der Flüchtlinge in Schleswig-Holstein

Es gilt das gesprochen Wort!

Liebe Kolleginnen, die Regierungserklärung kommt spät. Und dennoch frage ich mich, warum sie heute kommt?

Herr Ministerpräsident, seit 2013 ist ein kontinuierlicher Anstieg der Flüchtlingszahlen auch bei uns zu verzeichnen. Seit Sommer letzten Jahres spätestens ist bekannt, dass die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung in Neumünster längst nicht mehr ihren Aufgaben gewachsen ist. Und ebenso seit letztem Sommer ist bekannt, dass die Kommunen erhebliche Probleme mir der Unterbringung haben, weil die Aufenthaltszeit in NMS viel zu kurz ist und die Umverteilung zu schnell erfolgt.

Den Anschlag in Escheburg erwähnen Sie in einem Atemzug mit den Anschlägen in Paris und Kopenhagen – und kommen dann zu der Schlussfolgerung, „Doch auch wir haben jetzt unser wunde Stelle“ – Herr Albig, die haben wir schon lange, Mölln, Lübeck, um nur einige zu nennen, NSU Aktivitäten in SH, und und und.

Ich werde darauf nachher nochmal eingehen – aber hier zunächst betonen, dass wir Piraten jenseits des Parteienstreits bereit sind, alle Kräfte zu bündeln, um dem gemeinsamen Anspruch, Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und ihnen Schutz und ggf. auch Heimat zu bieten, möglichst bald gerecht zu werden.

Uns ist vollkommen klar, dass wir und nicht hinter der gescheiterten EU Flüchtlingspolitik – und auch nicht hinter Fehlern in der Bundespolitik verstecken können! Aber wir wollen und wir müssen alle Spielräume bei uns im Land ausloten, um für den Menschen dennoch eine Willkommenskultur zu leben – und diese darf sich nicht auf Moral und Mitgefühl beschränken!

Liebe Kollegen von der CDU und SPD, wenn es so ist, dass Menschen wie z.B. in den Balkanländern, speziell im Kosovo, getrieben von Arbeitslosigkeit, Hunger und Armut ihr Land verlassen müssen, wenn es so ist, dass wir bereit sind, ihnen zu helfen, dann lasst uns doch gemeinsam überlegen, wie wir uns besser aufstellen können, um unseren humanitären Ansprüchen auch gerecht zu werden.

Lassen Sie mich einen Moment beim Beispiel Kosovo bleiben. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat die Länderinnenminister für ihre Abschreckungs- und Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen aus dem Kosovo scharf kritisiert. Die Menschen dort sind in ihrer Existenz bedroht. Sie leben unter menschenunwürdigen Bedingungen. Viele, vor allem Kinder, sind unterernährt und frieren, weil es kein Brennholz gibt. Da sei es völlig illusorisch zu glauben, sie ließen sich zurückhalten von der negativen Aussicht auf baldige Abschiebung oder überfüllte Aufnahmelager. Der Vorstoß, das Kosovo ebenfalls als sicheres Herkunftsland einzustufen, hätte nichts an der Situation geändert – und würde auch nicht davon abhalten, trotzdem zu uns zu kommen.

Allein eine andere Europapolitik und EU Erweiterungspolitik, gepaart mit einer Anti-Korruptionsstrategie wäre in der Lage, den Menschen auf dem Balkan eine Perspektive zu bieten. Aber es besteht nicht mal Einigkeit in der EU, Kosovos Unabhängigkeit anzuerkennen.

Am 8. Juli 2010 hat das Europäische Parlament alle EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, die Republik Kosovo anzuerkennen. Bislang wird das Kosovo von 23 der 28 EU-Mitgliedstaaten anerkannt. Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern erkennen die Republik Kosovo nicht an. Kosovo ist das einzige Land der Region mit dem die EU noch kein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterzeichnet hat. Man kann auf der einen Seite nicht Menschen ihrem unwürdigen Schicksal überlassen und auf der anderen Seite eben diese dafür kritisieren und bestrafen, dass sie versuchen diesem zu entkommen.

Das Kosovo hat gestern den 7. Nationalfeiertag anlässlich der Unabhängigkeitserklärung gefeiert. Gefeiert? Ja, obwohl nicht mal alle EU Staaten die Unabhängigkeit anerkennen. Gefeiert, obwohl arbeitslose Jugendliche immer wieder auf die Straße gehen, es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, Korruption bekannt ist – aber nicht entschieden bekämpft wird. Seien wir doch ehrlich – wir haben den Krieg in Europa in den 90iger Jahren auf dem Balkan verdrängt. Die jüngere Generation unter uns weiß kaum noch etwas über die Gründe, warum Deutschland sich erstmals an einem nicht vom Völkerrecht gedeckten Krieg beteiligt hat. Heute ist die Öffentlichkeit reduziert: Wir unterstützen z.B. Schüler helfen Leben, die versuchen, die unterschiedlichen Ethnien auf dem Balkan zu versöhnen. Wir freuen uns über Schulpatenschaften mit dem Kosovo, so sie denn gelingen, und begrüßen, dass der SHZ ein „Zisch-Projekt“ mit kosovarischen Schulen durchgeführt hat. Aber wir schweigen auch – und Zahlen zeigen die Not: Kosovo hat 1,7 Millionen Einwohner und ein BIP/pro Kopf von 2.700 Euro – das Armenhaus Europas. Die EU ist heute mit 1.500 internationalen Kräften im Rahmen von EURLEX präsent – und wer redet schon noch darüber – dass heute, 16 Jahre nach dem Kriegsausbruch – dass heute Deutschland noch immer der größte Truppensteller der NATO ist? Das derzeitige Bundestagsmandat umfasst 1.850 Soldaten! Und dass allein Deutschland seit 1999 mehr als 420 Millionen Europa Entwicklungshilfe geleistet hat?

Erinnern wir uns, kurz vor dem NATO Einsatz damals sind 380.000 Albaner vor den Serben geflohen – innerhalb von 3 Tagen waren die meisten zurück. Sie kommen heute nicht zu uns, weil sie ihr Land nicht mehr lieben, sie kommen zu uns, weil sie nicht wissen, wie sie überleben sollen. Liebe Kollegen, es gab einen Streit zum Wintermoratorium. Wir Piraten haben dies gefordert und ausdrücklich begrüßt.

Beispiel Roma: Wenn es so ist, dass insbesondere Roma, die in ihren Heimatländern massiv diskriminiert und verfolgt werden, und die den Winter auf Müllhalden nicht überleben können, dann ist es richtig und gut, dass wir ein Wintermoratorium erlassen haben und auch wieder erlassen werden. Und wenn wir doch wissen, dass die EU – Roma-Strategie erbarmungslos gescheitert ist, dass die Gelder verpuffen, nicht dort ankommen, wo sie gebraucht werden, dann müssen wir Druck auf die EU ausüben – anstatt uns hier im Parteienstreit gegenseitig Vorwürfe zu machen. Wir haben dabei doch einen klaren Vorteil:, den wir nutzen sollten: Im ECMI in Flensburg sind hervorragende Analysen und Expertisen erarbeitet worden, mit denen die EU-Roma-Strategie verändert werden sollte. Die Fehler der EU haben Auswirkungen auch auf unser Bundesland – aber wir haben eine Landes- und Bundesregierung, von der wir erwarten – dass sie sich n Brüssel und in den EU Mitgliedsländern für eine Korrektur einsetzen!

Die Europäische Union missachtet im Umgang mit Flüchtlingen an ihren Außengrenzen seit Jahren internationales Recht – eine Tatsache, die nicht neu ist.

Beispiel MittelmeerraumBereits in der Vergangenheit musste die EU-Kommission illegale sogenannte Pushback-Maßnahmen durch Angehörige der EU-Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer einräumen.

Beispiel Ukraine: ‚Report Mainz‘ hat jetzt (17.1.) aufgedeckt, dass die Union Flüchtlinge unter anderem aus Afghanistan und Somalia auch in die Ukraine zurück schiebt, obwohl sie dort nicht mit einem Asylverfahren rechnen können. Seit dem Jahr 2010 gilt ein Rückübernahmeabkommen zwischen EU und Ukraine. Es erlaubt den EU-Mitgliedsstaaten, Menschen dorthin abzuschieben – ein Asylantrag muss laut der entsprechenden Verfahrensrichtlinie aber eigentlich zuvor geprüft werden. Es handele sich um Tausende Menschen, die in der Ukraine mit Wissen und Unterstützung von EU-Verantwortlichen wie Gefangene behandelt würden. Human Rights Watch hat bereits 2010 auf die Missstände in ukrainischen Lagern für Migranten hingewiesen. Zum in den aktuellen Berichten geäußerten Vorwurf, die EU finanziere die Internierungslager in der Ukraine mit, hieß es laut Deutschlandfunk aus Brüssel, die Gelder dienten dazu, die ‚Standards‘ in den Gefängnissen zu verbessern. Man habe einen höheren zweistelligen Millionenbetrag in den Auf- und Ausbau von derartigen Anstalten, in Schulungen des dortigen Personals und Beratungen der ukrainischen Regierung investiert. Zugleich wiesen EU-Vertreter die Berichte über Abschiebungen aus der EU in das osteuropäische Bürgerkriegsland zurück. Vergleichbare menschenunwürdige Praktiken wendet die EU im Hinblick auf Marokko an.

Verehrte Kollegen, Menschen sind nicht auf Zahlen und Kosten zu reduzieren! Zahlen sind Fakten: nicht Zahlen über Kosten, sondern über Menschen, die zu uns kommen um zu überleben. Zahlen dürfen wir nicht missbrauchen um parteipolitische Süppchen zu kochen. 18.000 Menschen aus dem Kosovo, wie viele werden es in diesem Jahr sein, aus Syrien, aus Irak, aus Afghanistan, aus Afrika?

Wenn wir uns denn einig sind, dass wir die Ursachen analysieren und auf allen Ebenen Veränderungen herbeiführen wollen, dann ist es genau so legitim und notwendig, sich mit den Forderungen und Belastungen unserer Städte und Kommunen auseinander zu setzen und gemeinsame Antworten finden.

Herr Albig, Sie sagten gerade „Wir sollten das zum Anlass nehmen, unseren Umgang mit der Flüchtlingsthematik ganz generell zu überprüfen. Wie gehen wir mit Menschen in höchster Not um? Für mich ist das keine Frage des Haushaltes. Es ist eine Frage der Haltung“ Wie erklären Sie uns dann die unterschiedlichen Berichte, wonach die Regierung (Dienstag) 6 Millionen mehr in die Hand nehmen will und den Bericht von heute, wo Minister Studt zitiert wird, dass die Kommunen nicht die geforderte Entlastung bekommen?
Der Städtetag fordert in seiner Erklärung von Montag, dass die Mehrbelastung in Höhe von 4,1 Mio. für Wintermoratorium erstattet werden sollen vom Land. Ich habe Ihrer Rede heute nur entnommen, dass Sie einen Nachtragshaushalt ankündigen, aber konkrete Zahlen fehlen immer noch.

Wieder sind Zahlen im Spiel – Kosten, Euro, nichts zu der Not der Menschen. Gleichwohl ist offensichtlich, dass wir die Kommunen unterstützten müssen. Wer nach dem Prinzip „Humanitäre Lyrik“ aber was es kostet ist egal handelt, schafft Widerstand gegen die Bereitschaft der Schleswig-Holsteiner, Flüchtlingen Schutz und wenn gewollt Bleibe zu bieten.

Dann müssen wir eingestehen, dass es zu unzumutbaren Härten kommt, wenn die derzeitige Aufenthaltsdauer in der Hast nur noch 10 Tage sind, und die Kommunen vor schlichtweg unüberwindbare Hürden gestellt werden. Das übrigens, habe ich schon im Sommer letzten Jahres kritisiert, nach meiner Tour durch die Städte und Kreise. Das ist ja nicht erst seit Winter so – das sind Defizite. Und diese Defizite sollten wir ohne Aggression benennen , denn wir müssen uns endlich auf den Weg machen, alles auf den Prüfstand zu stellen, um besser, menschlicher zu werden.

Herr Ministerpräsident, Sie sagten auch der Anschlag in Escheburg beinhalte eine Chance. Ich sehe darin keine Chance, sondern Escheburg kann eine Mahnung sein alles dafür zu tun, dass die 6 Wochen Verweildauer in zentralen Erstunterkünften eingehalten werden müssen, damit Kommunen und Bewohner nicht vor den Aufgaben kapitulieren.
Sie fordern ein Bündnis der Humanität. Sehr geehrter Herr Albig, wir haben unzählige Bündnisse der Humanität in Kreisen, kreisfreien Städten, mit Initiativen, Ehrenamtlern, und vielen mehr. Diese Bündnisse brauchen Unterstützung, damit sie sich ausbreiten und noch aktiver werden können.

Wir wünschen uns deshalb den gemeinsamen Willen und gemeinsamen Mut für einen Blick nach vorn! Die Krisen verstärken sich von Woche zu Woche. Wir müssen mit neuen Zuspitzungen – und mit neuen Flüchtlingen rechnen. Und wir wollen und müssen unserem humanitären Grundsätzen gerecht werden. Auf Bundesebene mehren sich die Stimmen, die u.a. die Einrichtung eines Integrationsministeriums vorschlagen. Der Antrag von CDU und Piraten, der zweimal verschoben wurde und nun im März hier diskutiert werden wird, zur Einrichtung eines Integrations- und Flüchtlingsausschusses hat zum Ziel, dass wir als Landtag den Herausforderungen angemessen antworten und der Gesamtproblematik gerecht werden wollen. Warum nur sträuben Sie sich so dagegen?

Aber zurück zu Ihrer Rede Herr Albig. Sie reden zwar von Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland, Sie erwähnen aber mit keinem Wort die Tatsache, dass in Internetforen von Rechtsextremisten dominierten Foren entstanden sind wie Shegida, KiKida und NOFgida. Aktive NPD Mitglieder sind unter den Drahtziehern, die in den letzten Monaten immer wieder in Neumünster und Boostedt gegen die „Asylbewerberflut“ gehetzt haben. Auch hier brauchen die zahlreichen Bündnis wie ‚Bunt statt Braun‘ oder ‚Unsere Stadt ist bunt‘ sowie die Kommunalpolitiker die Unterstützung des Landes! Das Wort Rechtsextremismus taucht in Ihrer Regierungserklärung nicht auf – blendet es aus. Abschließend möchte ich zu unserem Antrag auf Abschaffung der Abschiebehaft in SH und im Bund zu sprechen kommen:

Nachdem Schleswig-Holstein mit der Schließung des letzten Abschiebungsgefängnisses des Landes in Rendsburg mit gutem Beispiel vorangegangen ist, sollte die Landesregierung dafür sorgen, dass die anderen Bundesländer diesem folgen. Eine konsequente Fortführung dieser Politik bedeutet auch, dass eine zentralisierte Abschiebungshaftanstalt von der Landesregierung nicht unterstützt wird. Aber was höre ich heute stattdessen? Sie Herr Ministerpräsident, wollen sich für einen „Respektvollen Umgang mit der Abschiebung einsetzen und dass die Rückkehr dann in Sicherheit und Würde erfolgt“.

Aus diesem Grund möchte ich abschießend mit einem Dank an die Kirchen schließen. Es sind die Kirchen, die sich nicht über geltendes Recht hinwegsetzen sondern in Einzelfällen Schutz gewähren. Der Angriff von Minister de Maizière auf die Kirchen sollte von uns allen entschieden zurückgewiesen werden.“

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