Asylpaket ablehnen. Humanitären Konsens verteidigen

[Es gilt das gesprochene Wort]

„Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir stehen vor der größten humanitären Herausforderungen seit Jahrzehnten. Und wenn die Bemühungen der letzten Tage scheitern, einen Waffenstillstand und humanitäre Hilfe für die Menschen in Syrien durchzusetzen, dann wird diese Herausforderung noch wachsen!
Wie sollte verantwortungsvolle, demokratische Politik darauf reagieren? Vielleicht so, wie viele Ehrenamtliche, Bürgerinitiativen, Kommunen landauf landab es uns vormachen: unaufgeregt, besonnen, überaus hilfsbereit, und vollkommen uneigennützig. Und natürlich verantwortungsvoll!

Doch was passiert in der Realität? Diejenigen, die im Bund und im Land in der Verantwortung stehen, einen tragfähigen gesellschaftlichen Konsens für die nächsten Jahrzehnte zu erreichen, um nicht nur das Überleben der Flüchtlinge, sondern auch die Integration zu gewährleisten, leisten sich verbale Schlachten, richten ihren Schwerpunkt darauf, das Grundrecht auf Asyl noch weiter auszuhöhlen.

Dies hat zumindest drei schwerwiegende Folgen:
1. Die Menschen in unserem Land, die sich engagieren wollen, werden verunsichert.
2. Die Flüchtlinge aus Krisen- und Kriegsgebieten, die nichts anderes tun als zu versuchen ihr Leben zu retten, werden durch immer neue Zäune und Mauern in und um Europa auf immer gefährlichere Fluchtwege getrieben.
3. Der von fast allen politischen Parteien immer lauter werdender Ruf nach Gesetzesverschärfung, nach Sanktionen, nach Abschiebungen u.v.m. ist Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und Rechtsextremisten. Wir PIRATEN wollen und werden uns an diesem unwürdigen Kanon der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge nicht beteiligen!

Vor wenigen Wochen haben wir hier in diesem hohen Haus diskutiert, welche Maßnahmen wir treffen können, um eine Willkommens- und  Bleiberechtkultur zu gestalten. Wir PIRATEN haben davor gewarnt, dass unsere Landesregierung, nachdem sie bereits bei dem Asylpaket I Grundsätze unserer gemeinsamen Politik verletzt hat, möglicherweise den humanitären Konsens weiter aufgekündigt. Und genau dies droht nun zu geschehen, obwohl Menschenrechtsorganisationen, der Flüchtlingsrat, Pro Asyl, das Deutsche Institut für Menschenrechte und viele andere an Landesregierung und Bundestagsabgeordnete appelliert haben, dem Asylpaket II und dem Gesetzentwurf „sichere Maghreb Staaten“ NICHT zuzustimmen.

Dennoch konnten wir am 30. Januar der Presse entnehmen, dass Ministerpräsident Albig einer erneuten Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsländer im Bundesrat zustimmen möchte. Fast zeitgleich, auf dem kleinen Parteitag der Schleswig-Holsteinischen Grünen, wurde beschlossen, dass das Asylpaket II nicht mitgetragen wird. Der Beschluss der Landes Grünen führt so starke Argumente gegen das Asylpaket II auf, dass wir ihn fast wörtlich als Begründung zu unserem heutigen Antrag „Ablehnung Asylpaket II“ übernommen haben. Dies war insbesondere deswegen angezeigt, weil der stellvertretende Ministerpräsident Dr. Robert Habeck sich in ersten öffentlichen Stellungnahmen zum Asylpaket II vollkommen unklar äußerte.

Liebe Kollegen,
man kann das auch „Rumgeeiere“ nennen, um sich alle Optionen für eine Regierungsbeteiligung nach der nächsten Bundestagswahl offen zu halten.

Liebe Kollegen,
da möchte Mensch schon meinen, erleichtert zu sein, wenn man letzten Sonntag Luise Amtsberg im Radio gehört hat, die zutreffend feststellte, dass das Asylpaket II innovationsfeindlich sei – und für den Fall, dass eine Mehrheit im Bundesrat mit dem Grünen Ministerpräsidenten Kretschmann für die Ausweitung der sicheren Herkunftsländer der Maghreb Staaten dafür stimmen würde, zu überlegen sei, dass man wegen Verstoßes gegen das Urteil des Bundesverfassungsgericht Klage erheben müsse.
Wir können Luise Amtsberg da nur zustimmen und hoffen, dass die Mehrheit der Grünenpartei ihren Kurs mitträgt.

Zweifel hieran sind allerdings berechtigt:  Im aktuellen Spiegel meldete sich der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zu Wort: um mehr Menschen als bisher abzuweisen, müssen die EU-Außengrenzen durch einen Zaun und durch bewaffnete Grenzen gesichert werden und an die Gegner einer solchen instinktiven Flüchtlingspolitik richtete er die Worte: Es seien nicht die Zeiten für Pippi Langstrumpf oder Ponyhofpolitik. Palmer? Petri? Das hat ja nicht mal Seehofer zustande gebracht.

Ja liebe Grüne, ich weiß das hören sie nicht gern. Ich verstehe Ihre Unruhe.
Aber die Angriffe von Seehofer auf die Kanzlerin und seine Äußerungen zum Unrechtsstaat ordne ich einer unerträglichen, aber durchaus bekannten Rhetorik der CSU zu, die schon immer in der Vergangenheit und auch in der Gegenwart versucht, den rechten Rand in Bayern in die eigene Partei einzubinden…
Aber dass sich Grüne Spitzenpolitiker einer solchen Sprache bedienen, ist nicht nur neu, sondern es ist ein Verrat an dem Gründungsgedanken der Grünen. Sie entziehen sich damit ihrer Legitimität für das, wofür sie einst angetreten sind.

Aber zurück nach Schleswig-Holstein:
Herr Albig, aber Sie wollten am liebsten zustimmen? Wissen Sie was die Aussetzung des Familienzuzuges und Einführung der Einzelfallprüfung schon jetzt zur Folge hat?
Seit Mai 2015 sind in Schleswig-Holstein 267 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge „verschwunden“ (Shz vom 14.2.).  Die meisten von ihnen sind aus Syrien, Afghanistan und Eritrea zu uns gekommen. Sie bleiben nicht in Schleswig-Hosltein, nicht in Deutschland, denn der Familiennachzug bleibt auch nach dem Kompromiss zum Asylpaket II, der ein Kompromiss zur Gesichtswahrung von Gabriel ist, für unbegleitete Jugendliche mit subsidiärem Schutz eingeschränkt. Ausnahmen gibt es nur nach einer Einzelfallprüfung! Und das in einer Zeit, wo das BAMF bei der Bearbeitung der Asylanträge immer noch kein Licht am Ende des Tunnels sieht.
Ist das Ihre humanitäre Willkommenskultur? Ihre Zustimmung zum Asylpaket II wird dazu führen, dass noch mehr unbegleitete Jugendliche „verschwinden“.

Herr Ministerpräsident,
ich rate Ihnen dringend, folgen Sie Ihrer Sozialministerin Christine Alheit. Gegenüber dpa sagte sie am 14. Februar: „dass sie eine Einschränkung des Familiennachzuges bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ablehnt. Als Familienministerin könne sie grundsätzlich nicht befürworten, dass Familien aus Bürgerkriegsgebieten auseinandergerissen werden.“ Frau Ministerin Alheit! Wir PIRATEN stimmen Ihnen in diesem Punkt uneingeschränkt zu!

Verehrte Kollegen und Kolleginnen der regierungstragenden Fraktionen,
als Sie der ersten Asylverschärfung durch das Asylpaket I zugestimmt haben, – und damit auch dem verschärften Abschiebebedingungen – haben Sie noch betont, dass Abschiebungen in Schleswig-Holstein weiterhin „in Würde“ stattfinden würden. Heute wissen wir, dass von „Würde“ keine Rede sein kann. Das wussten wir damals auch schon, aber Sie haben versucht, die Regelungen zur Zwangsabschiebung sowie der Zustimmung zu den Abschiebunbungen, unangekündigt und während der Nacht, nur schön reden wollten.

Am 12. Februar titelte die Kieler Nachrichten: „Familie tauchte plötzlich unter.“ Konkret ging es um die gescheiterte Abschiebung einer sechsköpfigen syrischen Familie nach Bulgarien. Insgesamt zwölf Polizeibeamte und weitere Mitarbeiter der Kreisverwaltung von Rendsburg-Eckernförde seien am Mittwoch und am Donnerstag 96 Stunden im Einsatz gewesen. Am Mittwoch habe die Polizei die Familie abgeholt und in die Landesunterkunft nach Boostedt gebracht. Nachmittags seien die Syrer dann untergetaucht, Polizei und Kreis hätten vergeblich nach ihnen gesucht. Donnerstag früh hätten sie nach Bulgarien fliegen sollen. Dies nahmen Landrat Schwemer zum Anlass, eine Änderung der Abschiebepraxis in Schleswig-Holstein zu fordern. Er betonte, der Kreis lasse nach der Familie fahnden, gegen mögliche Helfer werden Anzeigen erstattet. Willkommenskultur? Abschiebungen in Würde? Wir alle wissen doch, dass Dublin drei gescheitert ist. Der Pastor der Gemeinde sagte, eine menschliche Tragödie wäre es gewesen für die Familie, wenn sie nach Bulgarien abgeschoben worden wäre. Mit Angst in den Augen hätten die Syrer von der schikanösen Behandlung dort erzählt. Und die Familie sei hier wirklich gut integriert und ihre Sprachkenntnisse gut gewesen.

Vor diesem Hintergrund lieber Kollege Neve von der CDU, kann ich Ihre Äußerungen zu dem Fall “es geht um einen Rechtsstaat und nicht um Sympathie“ nur mit absolutem Unverständnis quittieren. Sie sagten ferner, das Land habe es nicht geschafft, die Syrer am Untertauchen zu hindern, weil Boostedt die Türen weit auflasse. Das hieße für Sie, das Land habe versagt.

Was ist denn Ihre Forderung? Flüchtlinge sind keine Verbrecher! Sie gehören weder eingeschlossen in ehemalige Kasernen noch in einen Abschiebeknast! Oder wollen sie Zäune und Mauern um die zwölf Erstaufnahmeeinrichtungen in Schleswig-Holstein bauen?

Liebe Kollegen und Kolleginnen,
dies mag ein Einzelfall sein, aber wir machen uns Sorgen um diese Familie. Im besten Fall hat sie Kirchenasyl erhalten, was wir hoffen und auch unterstützen. Aber – und das ist meine Frage an die Landesregierung –  warum ducken Sie sich weg?

Wollen Sie weiter die Auseinandersetzungen hier im Parlament, aber auch mit unseren Mitbürgerinnen, versuchen zu verhindern?

Wir PIRATEN sind überzeugt: nur Transparenz, auch die sachliche Darstellung verschiedener Einzelfälle werden dazu führen können, dass Humanität unser Handeln leitet. Dazu gehört Kirchenasyl, aber auch die Möglichkeit, die Härtefallkommission anzurufen.

Die Weigerung der Landesregierung, den Bericht der Härtefallkommission auch weiterhin jährlich durch die Geschäftsstelle abzugeben, müssen wir als Fehler und als fehlende Courage bewerten. Denn wir sind überzeugt: Jede humanitäre Entscheidung des Innenministers auf der Grundlage einer Empfehlung der Härtefallkommission ist eine gute Entscheidung und sollte nachvollziehbar sein. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei allen Kirchen bedanken, die Menschenwürde als oberstes Gebot praktizieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
aus dem Gesagten erübrigt es sich, auf den Antrag der CDU einzugehen. Wir lehnen ihn ab und beantragen über alle Anträge in der Sache abzustimmen. Wir sind gespannt, ob die Grünen zu ihrem Parteitagsbeschluss stehen oder dem Beispiel Palmers folgen werden.

Mit tiefem Bedauern müssen wir feststellen, dass die bevorstehenden Landtagswahlen am 13. März jede Integrationspolitik, die ihren Namen verdienen, dem Wahlkampf der etablierten Parteien zum Opfer fallen.

Der humanitäre Konsens in der Flüchtlingspolitik wird in dem Irrglauben geopfert, der AfD Stimmen abzujagen. Glauben Sie denn wirklich, so den Einzug der Rechtspopulisten in die Landtage zu verhindern? Glauben Sie wirklich, so das breite Feld der Protestwähler zu reduzieren?

Nein, liebe Kollegen und Kolleginnen! Die gegenwärtige Schlammschlacht auf der Politikbühne, der fast kaum zur Kenntnis genommener NATO Einsatz, den Verteidigungsministerin Von der Leyen im Mittelmeer ausgehandelt hat, die Militarisierung der EU-Außenpolitik und der EU-Flüchtlingspolitik, das alles wird Flüchtlinge nicht von ihrer Flucht abhalten! Das alles bedeutet, Mitverantwortung zu übernehmen für jene Menschen,die die Flucht nicht überleben! Und das alles wird dazu führen, dass weder Kriegs- noch Fluchtursachen bekämpft werden.

Morgen beginnt der zweitägige EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik. Auch dieser Gipfel wird geprägt sein von Nationalismen und einem weiteren Auseinanderrücken der EU-Mitgliedstaaten.

Denn eins ist ganz sicher: Egal wie viel Zäune und Mauern wir an den Außengrenzen der Europäischen Union – ja sogar an den Binnengrenzen – errichten, dies wird die friedliche Errungenschaft der Europäischen Union nicht retten, sondern zerstören.

Vielen Dank für Ihre (widerwillige) Aufmerksamkeit.“

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