Aktuelle Stunde zu den Äußerungen des Innenministers zur Vorratsdatenspeicherung

Rede von Wolfgang Dudda imSchleswig-Holsteinischen Landtag am 12.12.2013

Anfang Juni letzten Jahres haben wir Piraten mehreren Politikern Gespräche geführt, diese live ins Internet übertragen und aufgezeichnet. Einige von Ihnen erinnern sich ja daran vielleicht. Die Ministerin Spoorendonk, die Kollegen Schlie und Callsen von der CDU, Minister Habeck, der Ministerpräsident, der Kollege Dr. Stegner gehörten vor 1 ½ Jahren genau so zu unseren Gesprächspartnern wie der damalige designierte Innenminister Andreas Breitner.

Ihr Auftreten bei uns, Herr Breitner, am 6. Juni letzten Jahres war für einige in meiner Fraktion ausschlaggebend für ihr Abstimmungsverhalten bei der Wahl des Ministerpräsidenten eine Woche später. Sie kamen, wie man so sagt, menschlich und inhaltlich toll ´rüber. Neben Ihrer durchaus sehr gewinnenden persönlichen Art waren es im Besonderen Ihre klaren Ansagen zur Vorratsdatenspeicherung, die uns sehr gut gefallen haben.

Die Skepsis des Kollegen Dr. Breyer, der genau das, was Sie in den letzten Wochen getan haben, in seinen Fragen unterstellte, beseitigten Sie mit folgenden Worten:
Frage Dr. Breyer:“Stehen Sie auch persönlich dahinter oder sagen Sie, Ich finde das eigentlich nur gut, weil die das so beschlossen haben?“
Antwort des Innenministers:“Nein, nein. Das habe ich eingangs schon versucht, deutlich zu machen. Da stehe voll hinter. Ich habe ja mitverhandelt, ohne dass man es mir abringen musste. Beim Trojaner musste ich das erste einmal insgesamt verstehen. Das, was wir vereinbart haben, ist die fast schärfste Formulierung dazu. Und das ist ja nicht nur für eine Woche. Das war kein Thema für uns, weil das geht ja deutlich über eine Woche hinaus, was wir damit anfangen sollen. Das muss man aber auch wissen: Ich werde bundesweit wahrscheinlich der einzige Innenminister sein, der bei einer Innenministerkonferenz dagegen stimmen wird. Das ist mir schon klar, dass ich das bin. Dass ich mich nicht enthalte, sondern dass wir das ablehnen. Das ist nicht nur, weil das so im Vertrag drin steht. Das ist verinnerlicht.“

Auf den Unterschied hierzu zwischen der SPD hierzulande und im Bund machte meine Kollegin Angelika Beer dann im Gespräch aufmerksam in Anspielung auf Äußerungen von Sigmar Gabriel. Daraufhin sagten Sie, Herr Innenminister:
(Beginn des Zitats) „Ich weiß, Das ist ja auch der Konflikt innerhalb der SPD gewesen, den wir aber am Ende zugunsten der Freiheitsperspektive gelöst haben.“

Dies klaren Ansagen, Herr Breitner, waren für einige von uns in meiner Fraktion ausschlaggebend dafür, dass sie den Ministerpräsidenten eine Woche später mit gewählt haben.

Da konnten wir allerdings auch nicht wissen, dass wir von Ihnen 1 ½ Jahre später als „Menschenverächter und Zyniker“ bezeichnet werden.

Da konnten wir allerdings auch nicht wissen, dass wir mit einem Experten für Zynismus und Menschenverachtung gesprochen haben, der das widerliche Vorgehen von Sigmar Gabriel auf seine Facebookseite stellt und gut findet. Sigmar Gabriel hat ja am 27.11.2013 folgendes im ARD-Brennpunkt im Zusammenhang mit der furchtbaren Tat des Andres Breivik in Norwegen wahrheitswidrig behauptet:
„Durch die dortige Vorratsdatenspeicherung wusste man sehr schnell, wer in Oslo der Mörder war (…) Das hat sehr geholfen.“

In Norwegen ist die Vorratsdatenspeicherung formell zwar beschlossen, sie wird jedoch erst ab 2015 umgesetzt. Die Festnahme Breiviks hat also überhaupt nichts mit der Vorratsdatenspeicherung zu tun.

Die 77 Toten, unter denen sich ja bekanntlich mehrheitlich Angehörige einer sozialdemokratischen Jugendorganisation befanden, wahrheitswidrig für das eigene politische Süppchen zu instrumentalisieren, ist menschenverachtend und zynisch, Herr Breitner!

Gestern wurde in Lübeck der Festakt zum 100. Geburtstag von Willy Brandt begangen. Was der wohl sagen würde, wenn er seine Enkel auf diese Weise erleben müsste? Und diese Frage stelle ich durchaus nicht rein polemisch, denn:
Wie lange hätte Willy Brandt unter seinem DecknamenGunnar Gaasland 1936 in Deutschland wohl im Widerstand gegen die Nazis arbeiten können, wenn die damals bereits die Vorratsdatenspeicherung hätten nutzen können?

Und was für Willy Brandt gilt, das gilt natürlich auch für alle anderen, die sich damals im Untergrund als Antifaschisten mutig für die Demokratie einsetzten.

Eine SPD ohne Willy Brandt! Das wäre das sichere Resultat gewesen angesichts der widerwärtigen polizeilichen Perfektion, zu der es die Gestapo ja gebracht hat, die wir uns zum Glück ohne Vorratsdatenspeicherung erinnern können.

Es handelt sich um die SPD, der sie angehören, Herr Breitner. Es handelt sich um die SPD, von der wir heute um 24:00 Uhr wissen, ob sie mit der Zustimmung zum Koalitionsvertrag der Großen Koalition geschichtsvergessen auch für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt hat.

Als jemand, der 1972 sich als 15jähríger im damaligen Bundestagswahlkampf unter der Kampagne „Willy wählen“ für die SPD eingesetzt hat, habe ich indirekt daran mitgewirkt, Deutschland zu zivilisieren, denn genau das hat Günter Grass aktuell ja Willy Brandt bescheinigt. Als Pirat setze ich mich heute dafür ein, dass es in diesem Lande weiterhin zivilisiert zugehen kann. So, und jetzt frage ich zum Schluss:
Wer von uns beiden, Herr Breitner, ist zynisch und menschenverachtend? Sie oder ich?

Dass Sie sich beim Etablieren eines Überwachungsinstruments der gleichen Technik bedienen, die Ursula von der Leyen im Sommer 2009 bei den Internetsperren benutzte, als sie wahrheitswidrig die Orte der Kinderproduktion in Länder verlegte, die damit überhaupt nichts zu tun haben, hilft vielleicht ja beim Finden der Antwort.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, mir meine Leidenschaft zu verzeihen. Ich hätte Ihnen die Ihrige auch gerne verziehen, wenn Sie sich im Sinne Willy Brandts für eine zivilisierte Gesellschaft eingesetzt hätte.

, , , , , Kommentar schreiben

Comments are closed here.