PIRATEN brechen Fraktionszwang auf

Das neue Schülerheft des Landtags beschäftigt sich mit unserer Haltung zur Frage des Fraktionszwangs. Dazu ist ein Interview mit SPD-Fraktionschef Ralf Stegner und mir abgedruckt, in dem die grundverschiedenen Positionen deutlich werden:

fraktionsdisziplin: wichtig oder verzichtbar?

Was verstehen Sie unter Fraktionsdisziplin?

Ralf Stegner: Fraktionsdisziplin meint, dass die Abgeordneten einer Fraktion im Landtag einheitlich abstimmen – Ausnahmen gibt es beispielsweise bei Gewissensentscheidungen – und in der Lage sind, sich auf eine gemeinsame Position zu verständigen. Sonst werden
Berechenbarkeit und Regierungsfähigkeit gefährdet. Dazu braucht es eine gute Zusammenarbeit der unterschiedlichen Fachbereiche auf der Basis gemeinsamer Werte und Ziele sowie des von Parteitagen beschlossenen Wahl- und Regierungsprogramms.

Patrick Breyer: Abgeordnete, die sich nicht an die „Fraktionsdisziplin“ halten, werden bei anderen Fraktionen zum Fraktionsvorstand zitiert, müssen sich rechtfertigen und im schlimmsten Fall wird ihnen damit gedroht, dass sie nicht mehr als Kandidat aufgestellt werden. Eine echte Meinungsäußerung findet häufig nur statt, wenn der Fraktionschef die Abstimmung „freigibt“, was selten vorkommt.

Wir Piraten finden, ein Abgeordneter ist nur seinem Gewissen verpflichtet und hat das Recht, von der Linie seiner Partei oder Fraktion abzuweichen. Deswegen lehnen wir eine Fraktionsdisziplin, die Druck auf das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten ausübt, ab. Wir stimmen meistens gleich, immer wieder mal aber auch unterschiedlich ab. Wir finden, dass es Meinungen verfälscht, wenn vor der Parlamentsabstimmung jede Fraktion schon intern eine Mehrheitsentscheidung trifft: Dadurch bekommen Gesetze Mehrheiten, die bei freier Abstimmung womöglich gescheitert wären.

Wie einigen Sie sich in der Fraktion auf eine Position?

Ralf Stegner: Unsere Arbeitskreise bereiten die Themen vor. Lösungsvorschläge werden dann in der Fraktionssitzung diskutiert, und das kann durchaus kontrovers sein. Doch Ziel ist immer, sich auf eine gemeinsame Position zu verständigen, die dann von allen auch so
vertreten wird.

Patrick Breyer: Vor jeder Abstimmung im Plenum wird die Tagesordnung der Plenarsitzung ins Internet gestellt und über eine Mailingliste verschickt, in die sich jeder eintragen kann. Online können alle Abgeordneten der Piraten-Fraktion eintragen, wie sie zu welchem Thema abstimmen möchten und warum. Meistens sind wir auch ohne Fraktionsdisziplin einer Meinung. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass wir zu einem Thema unterschiedliche Standpunkte hatten. Dann vertreten wir auch mehrere Positionen im Plenum und stimmen unterschiedlich ab. Da es bei den von uns vertretenen Bürgern unterschiedliche Meinungen zu einem Thema gibt, muss sich dies auch bei den Piraten widerspiegeln können.

Im Parlament stimmen Fraktionen in den meisten Fällen geschlossen ab. Erläutern Sie bitte: Was hat diese Praxis Ihrer Meinung nach für Vor- und Nachteile?

Ralf Stegner: Vorteile sind, dass es zu klaren Beschlüssen kommt, welche Fraktion wie abstimmt, und daraus resultierend dann zu Mehrheiten oder eben auch nicht. Bürgerinnen und Bürger wissen, wie sich eine Fraktion in einer bestimmten Frage positioniert. Nachteile sehe ich nicht – eher schon, wenn Fraktionen nicht geschlossen abstimmen. Dann kann es auch passieren, dass Mehrheiten nicht kalkulierbar sind. Das wäre bei wichtigen Gesetzesvorhaben ein Desaster.

Patrick Breyer: Vorteile sehe ich keine. Nachteil ist aus meiner Sicht die Verfälschung des demokratischen Mehrheitswillens im Parlament und die Intransparenz von unterschiedlichen Meinungen innerhalb einer Fraktion. Für die Demokratie ist es insgesamt schädlich, wenn die Bürger sehen, dass abweichende Meinungen in einer Fraktion nicht zugelassen und „Abweichler“ an den Pranger gestellt werden. Unter den Bürgern und Wählern gibt es auch unterschiedliche Meinungen, das sollte sich auch bei ihren Vertretern
im Parlament widerspiegeln.

Die Entscheidungsfindung verhindert das nicht: In Großbritannien oder den USA gibt es auch keine Fraktionsdisziplin, und trotzdem bringen die Parlamente dort Gesetze auf den Weg. Eine Regierung sollte sich nicht darauf verlassen können, dass sie alles, was sie anschiebt, mit der eigenen Mehrheit durchs Parlament bringen kann. Da kommt die Souveränität des Parlaments abhanden, und es findet kein politischer Diskurs mehr statt. Dass Gesetze auch mal keine Mehrheit finden, gehört zur Demokratie.

Wie lassen sich ein freies Mandat und Fraktionsdisziplin miteinander vereinbaren?

Ralf Stegner: Auch hier gilt: Unsere Abgeordneten haben sich vor ihrer Wahl in den Landtag bereits in vielen Fragen positioniert. Sie treten nicht als unabhängige „Einzelkämpfer“ an, sondern stehen für eine Partei, die bestimmte politische Werte und Positionen vertritt.
Die Fraktionsarbeit besteht darin, diese bei Entscheidungen zu Grunde zu legen. Deshalb ist freies Mandat und Fraktionsdisziplin
eben kein Widerspruch.

Patrick Breyer: Wenn der Anspruch an die Fraktionsdisziplin, wie üblich, mit Druck hinterlegt ist, dann ist das freie Mandat mit einer „Fraktionsdisziplin“ in meinen Augen unvereinbar.

Wie fließen Meinungen der Wähler in Ihre Entscheidungen ein?

Ralf Stegner: Die SPD ist in ständigem Austausch mit Bürgerinnen und Bürgern, Vereinen und Verbänden. Insbesondere unsere Arbeitskreise führen sehr viele Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern und Interessenvertretern. Dialog wird in dieser Koalition ganz groß geschrieben! Vor jedem Gesetzesvorhaben holen wir uns Anregungen der Betroffenen, und während des Verfahrens im Parlament gibt es Anhörungen. Zudem hat die SPD die Menschen in unserem Land beispielsweise vor der Landtagswahl über das Internet und in Veranstaltungen in allen Kreisen direkt an der Erarbeitung ihres Regierungsprogramms beteiligt.

Patrick Breyer: Vor jeder Plenarsitzung stellen wir die Tagesordnung ins Internet und tragen unser beabsichtigtes Abstimmungsverhalten ein. Unsere Wähler und alle Interessierten bekommen die Info über eine Mailingliste. Unsere Einträge können sie kommentieren und mit uns diskutieren. Aus den Plenarsitzungen twittern wir dann, sodass diejenigen, die uns folgen, mit ihren Kommentaren auch in die Plenardebatte eingreifen können. Wir haben aber kein imperatives Mandat bei den Piraten in Schleswig-Holstein, wir müssen also die Entscheidungen unserer Basis nicht zwingend befolgen und holen auch nicht bei allen Fragen ein Meinungsbild ein. Wir orientieren uns aber immer an den Werten der Partei und den Parteitagsbeschlüssen, an denen ja wiederum die Basis mitgewirkt hat. Übrigens können auf unseren Parteitagen auch Personen, die nicht Mitglied der Piratenpartei sind, Anträge einreichen.

Bürger lehnen Fraktionszwang ab

Die Bürger haben zu der Frage übrigens eine klare Haltung: 77% meinen, ein Abgeordneter sollte generell nur seinem Gewissen folgen und von der Linie seiner Partei abweichen dürfen. Dagegen möchten nur 20%, dass Parlamentarier sich in erster Linie nach den Zielen ihrer Partei richten sollen.

Einer anderen Umfrage zufolge meinen nur 28%, wenn ein Politiker merke, dass er mit seinen Überzeugungen klar in der Minderheit sei, dann sollte er sie aufgeben und tun, was die meisten Leute für richtig halten. 56% sagen demgegenüber, ein Abgeordneter solle in der Politik „nach seiner Überzeugung handeln und das tun, was er für richtig hält, auch dann, wenn die meisten Leute dagegen sind“.

Fazit: Die Bürger wollen Abgeordnete mit Rückgrat, die für ihre Überzeugungen einstehen. Wir Piraten machen dies möglich.

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