Patrick Breyer zu Überwachungsplänen der Bahn: Sicherheit schaffen, keine Überwachungsgesellschaft!

CSU-Bundesinnenminister Friedrich und die Bahn müssen ihre Pläne zu einer verstärkten Videoüberwachung von Bahnhöfen aufgeben! Das Vorhaben würde den Weg zu einem immer ausgreifenderen Einsatz von Überwachungs-, Identifizierungs- und Verhaltenserkennungssystemen bereiten, wie er in Großbritannien, den USA und China bereits eingeschlagen worden ist. In einem freiheitlichen Rechtsstaat ist eine wahllose Erfassung beliebiger Fahrgäste ins Blaue hinein nicht hinnehmbar und schädlich!

Videoüberwachung lässt nach einschlägigen Untersuchungen weder eine Erhöhung der tatsächlichen noch der wahrgenommenen Sicherheit erwarten. Sinnvoll sein können stattdessen eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von  Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene  Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal. Die durch den Verzicht auf Videoüberwachungssysteme eingesparten Kosten werden in diesen Bereichen dringend benötigt.

Die Bahn sollte offensiv über das (absolut und im Vergleich zu anderen Orten) geringe Risiko von Fahrgästen, an Bahnhöfen oder in Schienenfahrzeugen Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, aufklären, um den verbreiteten Fehlvorstellungen diesbezüglich  entgegenzuwirken. Die Bahn sollte von allem eine unabhängige Untersuchung des Nutzens und der schädlichen Nebenwirkungen von Videoüberwachung in Auftrag geben, bevor sie ihre Überwachungssysteme weiter ausdehnt.

Ich fordere den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn auf, zu dem geplanten „Sicherheitsgipfel“ im Februar neben Regierungsvertretern und staatlichen Datenschutzbeauftragten auch unabhängige Kriminologen, Fahrgastverbände sowie Vertreter von Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen einzuladen. Nur so können die Interessen der betroffenen Fahrgäste unmittelbar in die Diskussion eingebracht und kann eine rationale Entscheidung über die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof getroffen werden.
Hier der Text unseres Antrags in voller Länge, der im Innen- und Rechtsausschuss weiter beraten wird:

Entschließung zur Videoüberwachung an Bahnhöfen

1. Der Landtag spricht sich gegen eine verstärkte Videobeobachtung oder -aufzeichnung von Fahrgästen an Bahnhöfen aus, weil dies nach einschlägigen Untersuchungen weder eine Erhöhung der  tatsächlichen noch der wahrgenommenen Sicherheit erwarten lässt.  Sinnvoll sein können stattdessen eine helle, übersichtliche und gut einsehbare bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von Sicherheitspersonal.

2. Der Landtag bittet die Deutsche Bahn, eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung von Wirksamkeit, Kosten, unerwünschten Nebenwirkungen und Alternativen zu Videobeobachtung oder -aufzeichnung von Fahrgästen an Bahnhöfen und in Fahrzeugen in Auftrag  zu geben. Untersucht werden soll insbesondere, ob in videoüberwachten  Bahnhöfen/Fahrzeugen weniger Straftaten, eine höhere Aufklärungsquote  oder ein erhöhtes Sicherheitsgefühl zu verzeichnen sind als in  vergleichbaren Bahnhöfen/Fahrzeugen ohne Videoüberwachung. Bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse soll die Videobeobachtung oder  -aufzeichnung von Fahrgästen nicht ausgeweitet werden.

3. Jeder Bürgerin und jeder Bürger hat ein Recht zu  erfahren, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Der Landtag fordert die Deutsche Bahn auf, alle Fahrgäste darüber zu informieren, wo Videobilder von ihnen wie lange, in welchem Umfang und  zu welchen Zwecken erstellt und aufbewahrt werden und wie der Zugang zu  den Aufzeichnungen geregelt ist.

4. Der Landtag regt an, die Deutsche Bahn möge offensiv über das (absolut und im Vergleich zu anderen Orten) geringe Risiko von Fahrgästen, an Bahnhöfen oder in Schienenfahrzeugen Opfer eines Gewaltdelikts zu werden, aufklären, um den verbreiteten  Fehlvorstellungen diesbezüglich entgegenzuwirken.

5. Der Landtag ersucht die Deutsche Bahn, zu dem geplanten „Sicherheitsgipfel“ im Februar neben Regierungsvertretern und staatlichen Datenschutzbeauftragten auch unabhängige Kriminologen, Fahrgastverbände sowie Vertreter von Bürgerrechts- und  Datenschutzorganisationen einzuladen.

Der Landtag bittet den Präsidenten, diese Entschließung dem Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bahn AG zu übermitteln.

Begründung:

Im Anschluss an einen versuchten Anschlag auf den Bonner Hauptbahnhof erwägt die Deutsche Bahn eine verstärkte Videobeobachtung und -aufzeichnung ihrer Fahrgäste. Überwachungskameras sind nach einschlägigen Studien jedoch kein geeignetes Mittel,  Straftaten zu verhindern und die Sicherheit zu erhöhen (Hempel/Alisch,  Evaluation der 24-Stunden-Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe, S. 6, http://pir.at/evaluationsbericht; Gill/Spriggs, Assessing the impact of CCTV, http://pir.at/gill).  Sie stärken nicht einmal das Sicherheitsgefühl der Überwachten  (Kleinschmidt/Kuhlmey/Fleischer, Verbesserung der subjektiven Sicherheit  im öffentlichen Personennahverkehr, S. 60, http://pir.at/sicherheitsgefuehl1; Alisch/Meier/Steltner, Personalmaßnahmen in der Kundenwahrnehmung, http://pir.at/sicherheitsgefuehl2).  Eine Untersuchung in London konnte auch keinen Zusammenhang zwischen  der Zahl von Überwachungskameras und der Aufklärungsquote von Straftaten  feststellen (London Evening Standard, Bericht vom 19.09.2007, http://pir.at/cctv).

Auf der anderen Seite kann Videoüberwachung unerwünschte Folgen  haben: Videokameras führen teilweise dazu, dass Mitmenschen dem Opfer  einer Straftat nicht mehr zu Hilfe kommen, weil sie mit dem Eintreffen  von Sicherheitskräften rechnen – in der Regel zu Unrecht. Unter  Videoüberwachung vermeiden Menschen unbefangene, kreative, individuelle  Verhaltensweisen, um nicht aufzufallen. Dadurch droht zunehmend eine  gleichförmige Gesellschaft zu entstehen. Es beeinträchtigt die  Privatsphäre, wenn das Verhalten von Menschen beobachtet und  aufgezeichnet wird, ohne dass sie dazu Veranlassung gegeben haben. Der  Kuss am Bahnhof sollte nicht gefilmt, eine private SMS nicht per  Kamera-Zoom mitgelesen werden. Die hohen Kosten von  Video-Überwachungssystemen binden außerdem Mittel, die für sinnvolle  Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und Lebensqualität fehlen. Video-Überwachungssysteme werden zum Anlass genommen, Personal einzusparen. Braucht jemand Hilfe, findet er dann keine Ansprechpartner  mehr. Videoaufzeichnungen führen mitunter sogar zu schweren Fehlern. So  musste der Hausmeister Donald Stellwag mehrere Jahre unschuldig im Gefängnis verbringen, weil man meinte, ihn auf der Videoaufzeichnung  eines Banküberfalls zu erkennen. Stellwag wurde von Mitgefangenen  gedemütigt, litt während der Haftzeit an einem Gehirntumor, erkrankte an  Diabetes und ist seit seiner Entlassung dauerhaft erwerbsunfähig.

Die Kosten einer anlasslosen Videoüberwachung stehen insgesamt außer  Verhältnis zu dem behaupteten Nutzen. Die durch den Abbau anlassloser  Überwachung eingesparten Mittel lassen sich sinnvoller für Maßnahmen der  Kriminalprävention und zur Stärkung des Sicherheitsbewusstseins  einsetzen, deren Wirksamkeit erwiesen ist.

Sinnvoll sein können eine helle, übersichtliche und gut einsehbare  bauliche Gestaltung von Bahnhöfen mit Rückzugsmöglichkeiten wie  Wartehäuschen, eine Belebung von Bahnhöfen, die Beseitigung von  Verschmutzungen und eine angemessene Präsenz und Erreichbarkeit von  Sicherheitspersonal. Wichtig ist aber auch eine Aufklärung über das bereits jetzt bestehende hohe Sicherheitsniveau.

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