Wissenschaftlicher Dienst prüft umstrittene Pläne zur Fraktionsfinanzierung [ergänzt am 10.08.2012]

Der Finanzausschuss des Landtags soll am 9. August die umstrittenen Pläne zur Fraktionsfinanzierung beraten. Wir haben den Wissenschaftlichen Dienst des Landtags heute beauftragt, eine Stellungnahme zu der Frage abzugeben, ob die Pläne der etablierten Fraktionen überhaupt mit dem Fraktionsgesetz vereinbar sind.

Außerdem habe ich Kontakt mit dem Präsidenten des Landesrechnungshofs aufgenommen. Dieser teilt erfreulicherweise unsere Meinung, dass sich die Verkleinerung der Fraktionen um 25% ihrer Mitglieder auch in den Fraktionsmitteln wiederspiegeln muss. Dem Argument, die Aufgaben der Fraktionen blieben gleich, hielt er zutreffend entgegen, dass die Vergrößerung des Landtags von 69 auf 95 Abgeordnete im Jahr 2009 trotz gleich bleibender Aufgaben eine enorme Mittelerhöhung nach sich gezogen hat. Der Landesrechnungshof wird an der Sitzung des Finanzausschusses teilnehmen und seine Position deutlich zum Ausdruck bringen.

Wir PIRATEN werden uns weiterhin für eine deutliche Absenkung der Fraktionsmittel einsetzen (siehe Beitrag Erhöhung der Fraktionsmittel pro Abgeordnetem um 33% geplant). In Schleswig-Holstein fehlt wegen der Verschuldungspolitik früherer Regierungen aus SPD, CDU, FDP und Grünen an allen Ecken und Enden Geld. Alleine der Schuldendienst verschlingt bald 1 Mrd. Euro unserer jährlichen Einnahmen. Die Wünsche der Fraktionen müssen nach unserer Überzeugung hinter die dringenden Bedürfnisse der Schleswig-Holsteiner, etwa im unterfinanzierten Bildungsbereich, zurückstehen.

Hier unser Auftrag an den Wissenschaftlichen Dienst im Wortlaut:

im Namen der Piratenfraktion bitte ich den Wissenschaftlichen Dienst, bis zur Sitzung des Finanzausschusses am 9. August eine Stellungnahme zu der folgenden Rechtsfrage abzugeben:

Entspricht es § 6 Abs. 2 Fraktionsgesetz, den Fraktionen einen nach Fraktionsgröße gestaffelten Grundbetrag zur Verfügung zu stellen, obwohl schon der Erhöhungsbetrag („Betrag für jedes Mitglied“) den unterschiedlichen Fraktionsgrößen Rechnung trägt?

Unserer Einschätzung nach ist die Frage aus den folgenden Gründen zu verneinen:

1. Schon der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Fraktionsgesetz spricht von „einem“ Grundbetrag „für jede Fraktion“.

2. Systematisch betrachtet soll der Erhöhungsbetrag („Betrag für jedes Mitglied“) den unterschiedlichen Fraktionsgrößen Rechnung tragen. Dies spricht gegen die Annahme, der Gesetzgeber habe auch eine Staffelung des Grundbetrags zulassen wollen.

3. Dies wird historisch dadurch bestätigt, dass der ursprüngliche
Entwurf eines Fraktionsgesetzes den Grundbetrag gesetzlich verankern sollte, und zwar in einheitlicher Höhe für alle Fraktionen. Auch nachdem man sich gegen eine gesetzliche Festschreibung entschieden hatte, wurde der Grundbetrag im Haushaltsplan jahrelang in einheitlicher Höhe angesetzt. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber dies so gewollt hat.

Der schleswig-holsteinische Rechnungshof hatte schon in einem Nachtrag zu seinen Bemerkungen 1994 ein Modell vorgeschlagen, welches die Ermittlung eines bedarfsorientierten Sockelbetrags vorsah, der als Mindestausstattung für alle Fraktionen gleichermaßen gelten sollte. Sein Modell für eine bedarfsorientierte Mindestausstattung sollte sich aus den Pro-Kopf-Beträgen für die – der Mindeststärke einer Fraktion entsprechenden – Zahl der Abgeordneten (laut Geschäftsordnung des schleswig-holsteinischen Landtags damals wie heute vier Abgeordnete) sowie einem angemessenen Grundbetrag zusammensetzen. Auf dieser Mindestausstattung aufbauend sollte zusätzlich für jedes weitere Fraktionsmitglied (bezogen auf Schleswig-Holstein also ab dem fünften Abgeordneten) ein degressiv bemessener Betrag gewährt werden.

4. Schließlich spricht der Zweck der Vorschrift für die Auslegung im Sinne eines einheitlichen Grundbetrags. Sinn der Unterscheidung zwischen Grundbetrag und Erhöhungsbetrag pro Fraktionsmitglied ist es, zwischen den fraktionsgrößeunabhängigen Fixkosten und den größeabhängigen Kosten zu unterscheiden. So erfolgt die Finanzierung der notwendigerweise anfallenden Fixkosten der Fraktionen im Rahmen einer Basisfinanzierung;
zum anderen wird ein Bezug zu den variablen Kosten einer Fraktion in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Größe hergestellt, sodass insgesamt eine im Grundsatz bedarfsorientierte Ermittlung des Finanzbedarfs ermöglicht wird.

Zusätzlich die Grundbeträge nach Fraktionsgröße zu staffeln,
widerspricht dem Zweck dieser Unterscheidung. Denn die Staffelung der Grundbeträge wird gerade nicht „aus einem Betrag für jedes Mitglied“ der Fraktion errechnet, sondern erfolgt in ungleich gröberen Stufen (z.B. 0-9 Mitglieder, 10-20 Mitglieder, ab 21 Mitglieder). Eine solche Staffelung umgeht die gesetzlich gewollte Feinsteuerung durch den Erhöhungsbetrag pro Mitglied, indem sie beispielsweise einer Fraktion mit 10 Mitgliedern einen ebenso hohen Erhöhungsbetrag (gegenüber dem niedrigsten Grundbetrag) zukommen lässt wie einer Fraktion mit doppelt so vielen Mitgliedern (nach der oben genannten Staffelung).

Ungeachtet der Frage, ob der Haushaltsgesetzgeber an § 6 Abs. 2 Fraktionsgesetz als Haushaltsrecht gebunden ist, sind jedenfalls im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsordnung einander widersprechende Regelungen (Fraktionsgesetz einerseits, Haushaltsplan andererseits) zu vermeiden. Außerdem ist politisch von Bedeutung, ob sich der Haushaltsgesetzgeber von den im Fraktionsgesetz niedergelegten Grundsätzen der Fraktionsfinanzierung verabschiedet oder nicht. Deshalb stellt sich die o.a. Frage, bevor am 9. August über die Fraktionsmittel beraten werden soll.

Wir bitten darum, Ihre Stellungnahme zu veröffentlichen und auch den übrigen Fraktionen zukommen zu lassen.

Eine schriftliche Fassung dieses Gutachtenauftrags folgt nach (wegen Eilbedürftigkeit per E-Mail vorab).

Mit freundlichem Gruß,
Patrick Breyer
Piratenfraktion (Vorsitzender)

Zum besseren Verständnis: Hier ist die Verteilung der Fraktionsmittel in der letzten Legislaturperiode nachzulesen (mit gestaffeltem Grundbetrag), hier der Wortlaut des § 6 Abs. 2 Fraktionsgesetz. Unser Vorschlag zur Fraktionsfinanzierung sieht einen einheitlichen Grundbetrag vor.

Ergänzung vom 21.07.2012:

In einer Stellungnahme vom 09.07.2012 (pdf) teilt der Landesrechnungshof mit, dass er sich zur Höhe der Fraktionsmittel und zu der Frage, ob ihre Berechnung mit dem Fraktionsgesetz vereinbar ist, nicht abschließend äußern will. Er weist allerdings darauf hin, dass laut Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein bundesweit das einzige Bundesland ist, in dem sowohl der Grundbetrag als auch der Erhöhungsbetrag nach Fraktionsgröße gestaffelt werden.

Ergänzung vom 10.08.2012:

Inzwischen veröffentlicht ist das von uns in Auftrag gegebene Gutachten zu der Frage, ob es zulässig ist, sowohl den Grundbetrag als auch den Erhöhungsbetrag pro Fraktionsmitglied nach Fraktionsgröße zu staffeln. Laut Gutachten sei diese Praxis in Schleswig-Holstein bundesweit einmalig, aber rechtlich zulässig.

Auszüge aus dem Gutachten:

„Danach soll mit dem Grundbetrag jeder Fraktion ein finanzieller Sockelbetrag zur Verfügunggestellt werden, der ihr die Erfüllung ihrer Aufgaben ermöglicht und in diesem Sinne die Grundausstattung der Fraktion sicherstellt. Dem höheren Finanzbedarf einer größeren Fraktion soll durch den Pro-Kopf-Betrag für jedes Fraktionsmitglied Rechnung getragen werden. Fast alle Landesparlamente haben sich diesem Verständnis angeschlossen und ihre Fraktionsmittel vergleichbar strukturiert. […]

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 16. Juli 1991 zu den Rechten der PDS-Gruppe im Bundestag ausgeführt, […] [i]m Verhältnis der anerkannten Gruppen untereinander dürfe dagegen – wie auch im Hinblick auf die Fraktionen – ungeachtet der unterschiedlichen Gruppengröße von einem einheitlichen Grundbetrag ausgegangen werden, weil der Ausgleich der unterschiedlichen Größe von Gruppen oder Fraktionen ’stets durch die Abgeordnetenzuschläge‘ erfolge.“

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