Landtag streitet über Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation [ergänzt]

Die Bundesregierung hat es geschafft: In Anbetracht des gefährlichen Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur „Bestandsdatenauskunft“ haben sich zum ersten Mal alle vier Piratenfraktionen darauf verständigt, einen gemeinsamen Antrag zur Ablehnung des Vorhabens im Bundesrat einzubringen.

Die erste Debatte über den Antrag, in der es hoch her ging, fand letzte Woche im Landtag von Schleswig-Holstein statt. Einige Kostproben:

  • „Wer nämlich, wie leider allzu oft die CDU, an der Leitplanke der Verfassung entlang schrammt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er immer wieder in den Abgrund des Überwachungsstaates abstürzt.“ – Patrick Breyer (PIRATEN)
  • „Es geht um den persönlichen Feldzug der Brüder Patrick und Jonas Breyer gegen dieses wichtige Instrument der inneren Sicherheit.“ – Axel Bernstein (CDU)
  • „Sie haben den Obrigkeitsstaat wohl nicht richtig verstanden.“ – Kai Dolgner (SPD)
  • „Die in den zwölf Einzelpunkten aufgeführten Nachverhandlungsaufträge zum Schutz der Nutzer vor staatlichen Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis weisen allesamt auf schwerwiegende Mängel und Lücken im Bereich des Datenschutzes im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung hin.“ – Burkhard Peters (Grüne)
  • „Ich habe häufiger den Eindruck, dass Sie manchmal von Angst getrieben sind und deshalb über das Ziel hinausschießen.“ – Wolfgang Kubicki (FDP)
  • „Ich glaube, dass man dem Bundeskriminalamt und dem Zollkriminalamt, wenn man es denn tut, enge Grenzen setzen sollte, wann und wie diese auf Telekommunikationsdaten zurückgreifen können sollten.“ – Lars Harms (SSW)

Hier die Debatte im Wortlaut:

Antrag zum Schutz der Vertraulichkeit und Anonymität der Telekommunikation
Antrag der Fraktion der PIRATEN Drucksache 18/311

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? – Das sehe ich nicht. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Patrick Breyer.

(Patrick Breyer nimmt seinen Laptop mit zum Rednerpult – Christopher Vogt [FDP]: Brauchen Sie ein Kabel? – Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gleich ist der Akku leer! – Heiterkeit)

Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Da wir unerwarteterweise unseren Antrag zur Vertraulichkeit und Anonymität der Kommunikation vorgezogen haben, kommt die Papierfassung etwas zu spät. Deshalb lese ich von meinem passwortgeschützten Laptop ab. Darum geht es heute.

Bei diesem Antrag geht es einerseits um die Voraussetzungen, unter denen Internet- und Telefonnutzer von staatlichen Behörden ermittelt werden können, und es geht andererseits um die Voraussetzungen, unter denen der Staat an die PINs zu unseren Handys und an die Passwörter zu unseren E-Mail-Konten herankommt, mit denen er dann direkt auf unsere Postfächer und gespeicherten Daten in den Handys zugreifen kann. Die bisherigen Zugriffsregelungen hat das Bundesverfassungsgericht – unter anderem auf meine Beschwerde hin – für verfassungswidrig erklärt. Die Bundesregierung hat nun einen Gesetzentwurf zur Neuregelung dieser Vorschriften vorgelegt, der im Bundesrat zustimmungspflichtig ist, das heißt, es hängt von der Positionierung der Länder ab, wie damit umgegangen wird. Wir wollen mit unserem Antrag die Landesregierung bitten, ihre Zustimmung von gravierenden Änderungen abhängig zu machen. Die Bundesregierung will mit diesem Gesetzentwurf nämlich leider nicht nur auf die Einführung der bislang fehlenden angemessenen rechtsstaatlichen Grenzen und Voraussetzungen für solche Datenzugriffe verzichten, sie will sogar bestehende Schutzvorschriften noch weiter abbauen. So soll etwa zukünftig der Zugriff auf Kommunikationsdaten nicht mehr auf Einzelfälle beschränkt sein und es soll eine elektronische Schnittstelle zur vereinfachten Abfrage von Kommunikationsdaten eingerichtet werden. In mehreren Punkten erfüllt dieser Gesetzentwurf nicht einmal die verfassungsrechtlichen Grenzen, die ihm gezogen sind.

Welche Konsequenzen hätte es für uns, wenn dieses Gesetz so beschlossen würde? – Die medizinische Beratung, aber auch die psychologische oder juristische Beratung von Menschen, die Information von Presseorganen, Whistle-Blower, politische Aktivisten – all diese Gruppen sind auf anonyme Kommunikationskanäle angewiesen, um sich ohne Furcht vor Vertraulichkeitsverletzungen beraten zu lassen, helfen zu lassen, oder die Presse frei informieren zu können. Wir fordern deswegen mit diesem Antrag, dass Internetnutzer künftig nur noch mit richterlicher Genehmigung und nur noch zur Verfolgung erheblicher Straftaten oder zum Schutz vor konkreten Gefahren identifiziert werden dürfen. Es kann nicht sein, dass die Dauer eines Telefonats nur mit richterlicher Genehmigung mitgeteilt werden darf, dass aber die Antwort auf die Frage, wer dieses Telefonat geführt hat, keinerlei richterlicher Anordnung bedürfen soll. Dabei ist das doch viel wichtiger. Wenn es heute darum geht, Internetnutzer abzumahnen und Geld von ihnen zu verlangen, weil sie urheberrechtlich geschütztes Material ausgetauscht haben, ist eine richterliche Anordnung Voraussetzung. Wenn es aber um polizeiliche Ermittlungen oder um strafrechtliche Ermittlungen geht, die zu einer Hausdurchsuchung oder Festnahme führen können, bedarf es dafür keiner richterlichen Anordnung. Diese Rechtslage ist wirklich absurd.

Deswegen bitte ich Sie, gemeinsam mit uns für einen starken und verbesserten Schutz der Vertraulichkeit und Anonymität der Kommunikation einzutreten, denn die freie und unbefangene Kommunikation bildet das Rückgrat unserer Demokratie. Ihre Bedeutung ist nicht zu unterschätzen. – Vielen Dank.

(Beifall PIRATEN, Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Lars Harms [SSW])

Vizepräsident Bernd Heinemann: Für die CDU-Fraktion hat Herr Dr. Axel Bernstein das Wort.

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen versuchen, aus der juristischen Parallelwelt des Herrn Breyer in die Realität dessen, was das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, zurückzukommen.

(Beifall Johannes Callsen [CDU] und Dr. Heiner Garg [FDP] – Dr. Heiner Garg [FDP]: Das ist eine gute Idee!)

In Ihrem Antrag haben Sie zwölf Punkte und zehn Seiten gebraucht, um zu umschreiben, was man einfacher und transparenter als eine Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung hätte beschreiben können. Die verklausulierte Antragstellung entspringt offenbar einer langen Vorgeschichte. Es geht um den persönlichen Feldzug der Brüder Patrick und Jonas Breyer gegen dieses wichtige Instrument der inneren Sicherheit. Bereits im Juni 2005 klagten die Breyer-Brüder gegen zahlreiche Bestimmungen des damaligen Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung.

(Beifall PIRATEN – Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar! – Weitere Zurufe)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herrn Abgeordneten Breyer?

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Es kommt noch eine Reihe von Punkten zu Ihnen, sammeln Sie lieber einmal!

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Okay, Sie geben ein Signal.

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Die beiden hatten es so eilig, dass sie das Inkrafttreten des Gesetzes gar nicht erst abgewartet haben. Jetzt, im Januar 2012, hat das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Breyers im Wesentlichen zurückgewiesen.

(Zuruf PIRATEN: Was?)

Das Gesetz gilt unverändert bis Juni 2013 weiter, lediglich bei der Bestandsdatenauskunft hat das Verfassungsgericht wesentliche Nachbesserungen gefordert, die die Bundesregierung jetzt in einem Gesetzentwurf vorgelegt hat.

(Uli König [PIRATEN]: Es hat es einfach für ungültig erklärt!)

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts war eine deutliche Klatsche für die beiden Kläger – es waren noch ein paar mehr Kläger -, weil klargestellt wurde, dass es kein Anrecht – ausdrücklich: kein Anrecht! – auf anonyme Kommunikation gibt. Die Breyers wären aber nicht die Breyers, wenn sie einen solchen Spruch des Verfassungsgerichtes akzeptieren würden. Am 26. Oktober 2012 veröffentlichten sie unter dem Deckmäntelchen des sich selbst so nennenden Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung eine lange Abhandlung im Netz, eine bunte Mischung aus Zitaten des Verfassungsgerichtsurteils, die man aus dem Zusammenhang gerissen hat, ergänzt um die irrigen Rechtspositionen, die das Gericht gerade verworfen hatte. – Unnötig zu erwähnen, dass die klagefreudigen Breyer-Brüder seit August ihr Anliegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter verfolgen.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leiden Sie unter Verfolgungswahn?)

Was die Breyers vor Gericht nicht durchsetzen konnten, soll nun die PIRATEN-Fraktion politisch regeln. Herr Breyer beantragt hier all das, was das Bundesverfassungsgericht verworfen hat. Das mag ja noch legitim sein. Bei näherer Betrachtung offenbart dieser Antrag jedoch eine Aneinanderreihung politischer Taschenspielertricks. Nur einmal ein Beispiel: Punkt 3 in Ihrem Antrag: Bestandsdatenauskunft im Einzelfall. In der Begründung wird schwungvoll behauptet, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sei verfassungswidrig.

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Erstens entscheiden das nicht die PIRATEN, sondern das Bundesverfassungsgericht, aber da kann man gegebenenfalls noch einmal klagen. Zweitens ist das wissentlich sachlich falsch. Der § 113 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes geht selbstverständlich von Einzelfällen aus, man muss es nur nachlesen. Drittens erweckt der Kollege Breyer für diese Behauptung durch ein paar Fußnoten des Bundesverfassungsgerichtes noch schnell den Eindruck, als habe man das Gericht hier auf seiner Seite. Das Gegenteil steht in der Urteilsbegründung.

Liebe PIRATEN-Fraktion, keine Vorratsdatenspeicherung und anonyme Kommunikation – das mag ein politisches Ziel sein. Das kann ich verstehen. Wir teilen es nicht, wir halten es für falsch und sind mit dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung auch in guter Gesellschaft. Aber hören Sie auf zu versuchen, das Parlament und die Öffentlichkeit mit Formulierungen hinter die Fichte zu führen, die den Eindruck erwecken, als hätten Sie für Ihre Position verfassungsrechtliche Weihen erhalten. Das Gegenteil ist in Karlsruhe passiert.

(Beifall CDU)

Nun noch ein Wort zur Bestandsdatenauskunft als solcher. Wir halten eine maßvolle, mit Augenmaß geregelte Bestandsdatenauskunft wie im Gesetz der Bundesregierung für richtig. Sie ist ein wichtiger Baustein zur Verbrechens- und Terrorabwehr. Die Dänenampel hat in ihrem Koalitionsvertrag leider festgeschrieben, dass sie dieses wichtige Instrument der inneren Sicherheit ablehnen will. Herr Innenminister Breitner, ich fordere Sie auf: Folgen Sie an dieser Stelle der beachtlichen Reihe von Beispielen, in denen SPD-Kabinettsmitglieder den Koalitionsvertrag Koalitionsvertrag sein lassen und sich stattdessen richtig und pragmatisch einlassen wollen.

(Christopher Vogt [FDP]: An der Stelle wäre das nicht so gut!)

Stimmen Sie im Bundesrat zu und sorgen Sie dafür, dass unser Landesrecht kompatibel zu den neuen Anforderungen auf Bundesebene ist.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich denke, die Union will sich neu aufstellen!)

Ein Europa mit moderner Vorratsdatenspeicherung und ein Schleswig-Holstein als unkooperativer Rückzugsraum für alle, die im Umfeld von Straftaten kommunizieren – das darf es nicht geben. – Vielen Dank.

(Vereinzelter Beifall CDU)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Das Wort für die SPD-Fraktion hat Herr Abgeordneter Dr. Kai Dolgner.

(Vereinzelter Beifall SPD und PIRATEN – Zurufe)

Dr. Kai Dolgner [SPD]:

Keine Vorschusslorbeeren! – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Breyer, Sie haben einen Fehler gemacht. Sie haben den Obrigkeitsstaat wohl nicht richtig verstanden, wo es schon impertinent ist, eine Klage zu erheben, seine Meinung im Internet zu veröffentlichen

(Beifall PIRATEN und Lars Harms [SSW])

und als gewählte politische Fraktion zu versuchen, dieses Anliegen auch noch in einem Parlament durchzusetzen. Ich muss ganz ehrlich sagen: Das rührt an den Festen des Obrigkeitsstaates. Unglaublich!

Das Bundesverfassungsgericht hat am 24. Januar 2012 in zwei wichtigen Punkten festgestellt, dass Regelungen nicht verfassungskonform sind. Es hat sie aber noch weiter bestehen lassen.

(Beifall Dr. Patrick Breyer [PIRATEN])

Wenn sie am 30. Juni 2013 nicht neu geregelt sind, sind sie ungültig.

(Beifall PIRATEN)

Das ist Tatsache. Da kann man nichts konstruieren. Das gilt weiter. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Abwägung gesagt: Das muss weiter gelten, weil das Instrumentarium der Bestandsdatenerhebung über dynamische IP-Adressen erhalten bleiben muss. Übrigens, Herr Kollege Dr. Bernstein, es geht hier nicht so sehr um die Vorratsdatenspeicherung. Die beschäftigt sich mit den Verbindungsdaten,

(Beifall PIRATEN)

Und die sind durch Artikel 10 Grundgesetz geschützt. Es geht hier um die Bestandsdaten. Das sollten wir auseinanderhalten. An einer Stelle wurde es kritisch, nämlich wo die Bestandsdaten auf die Vorratsdaten zurückgreifen mussten, um die Bestandsdaten zu ermitteln. Das waren die dynamischen IP-Adressen. Es konnte niemanden verwundern, dass man die IP-Adressen- Identifizierung nicht einfach so im TKG regeln kann. Insofern war das Urteil in diesem Punkt überhaupt nicht überraschend.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Das stimmt! – Zuruf von der SPD: Für mich schon!)

– Zumindest dann, wenn man sich ein bisschen mit der Materie beschäftigt.

(Zuruf)

– Muss man ja nicht. Man muss sich ja nicht mit jedem Thema beschäftigen. Wir haben bis zum 30. Juni 2013 Zeit, uns nicht nur mit dem Thema zu beschäftigen, sondern wir sind hier auch als Gesetzgeber gefragt. Denn das Landesverwaltungsgesetz und das Landesverfassungsschutzgesetz sind davon unmittelbar betroffen. Damit müssen wir bis zum 30. Juni 2013 fertig sein. Wir haben also ein ureigenes Interesse daran, diese Fragen zu klären – nicht nur bezüglich des Bundesrates, sondern auch bezüglich unserer eigenen Gesetze.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Ich habe Probleme mit Zwölf-Punkte-Anträgen, nämlich damit zu sagen: Entweder stimmst du allen zwölf Punkten zu oder nicht. Vielleicht sollten die PIRATEN da noch ein bisschen am Thema Kompromissfähigkeit arbeiten und nicht bei Ganzodergarnicht bleiben. Man könnte den Antrag zum Beispiel auf die verfassungsmäßig und die politisch bedenklichen Sachen abschichten. Auch wenn Sie es nicht einsehen: Ein Recht auf Anonymität bei den Prepaidkarten hat das Bundesverfassungsgericht eindeutig nicht bestätigt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ja!)

Da würde ich das Urteil abwarten. Trotz des Zeitdrucks sollten wir allerdings darauf achten, dass wir bei den Grundrechten endlich mit der „Versuch-und-Irrtum“-Methodik mit ständiger Korrektur durch die Verfassungsgerichte aufhören – unabhängig davon, was wir inhaltlich meinen.

(Beifall PIRATEN)

Der Vorschlag der Bundesregierung ist aus unserer Sicht zumindest problematisch. Zunächst macht er den Anschein einer Verbesserung nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Schaut man aber genauer hin, dann bekommt man den Eindruck, dass die Sicherheitsbehörden zukünftig Zugriff auf alle Bestandsdaten, also auch auf IP-Adressen, Zugriffsdaten wie die PUK von Mobiltelefonen, Passwörter für Mailkonten oder den Cloudspeicher, bekommen sollen, und das bisher ohne – vielleicht nur scheinbar – wirksame Kontrolle! Auf jeden Fall ist das aus dem Gesetzentwurf so nicht herauslesbar. Zum Thema Richtervorbehalt wurde schon richtigerweise gesagt, dass es nicht überall einen Richtervorbehalt geben muss. Aber es muss irgendwo eine wirksame Kontrolle geben. Auch bereiten uns die nicht ersichtliche Beschränkung auf Einzelfälle – jedenfalls für uns nicht so deutlich ersichtlich wie für den Kollegen Dr. Bernstein; da lernen wir im Ausschuss sicherlich noch -, die Unklarheit über die notwendige Einschränkung auf eine konkrete Gefahr vor allen Dingen bei Tätigwerden der Nachrichtendienste und die politische Frage, ob man die Abfragemöglichkeit von schwierigen Daten selbst bei Ordnungswidrigkeiten erlauben soll, Sorgen.

(Beifall PIRATEN, vereinzelt SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das alles sind Punkte, die wir sowohl rechtlich, als auch politisch kritisch bewerten müssen. Nur weil etwas rechtlich zulässig ist, muss man es politisch nicht unbedingt wollen. Auch das ist legitim.

(Beifall PIRATEN)

Ich kann mir jedenfalls kaum vorstellen, dass eine rot-grün-blaue Landesregierung einem solchen Gesetzespaket zustimmt, bevor diese Bedenken nicht ausgeräumt sind. Dazu können wir alle im Innen- und Rechtsausschuss unseren Beitrag leisten. Wir werden wahrscheinlich im Innen- und Rechtsausschuss vorschlagen, den Wissenschaftlichen Dienst damit zu beschäftigen, auch mit den Bedenken, die die PIRATEN vorgetragen haben, sowie anderen Bedenken, damit wir eine weitere, eine dritte Meinung dazu haben und uns intensiv mit den einzelnen Maßnahmen, die in diesem Gesetzespaket enthalten sind, beschäftigen können. Wir können Landesgesetze nur auf einer verfassungskonformen Grundlage machen. Ich kündige auch an: Nicht alles, was verfassungskonform ist, müssen wir hier auch machen. Wir sind souverän, darüber selber zu beraten. Wir werden im nächsten Frühjahr hoffentlich gemeinsam über das Landesverwaltungsgesetz beraten – in aller Ruhe und mit allem Respekt dafür, dass jeder seine parlamentarischen Rechte wahrnehmen darf, unabhängig davon, ob man die Inhalte gut findet. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat der Herr Abgeordnete Burkhard Peters.

Burkhard Peters [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe gestern mit großem Interesse das Strategiepapier einiger CDU-Abgeordneter aus dem Bundestag zu ihrer doch sehr schwachen Position in den Großstädten Deutschlands gelesen. Die haben ein Strategiepapier verfasst, das sehr interessant ist. In ihm haben sie gesagt, dass sie insbesondere das Thema Naturschutz anzugehen massiv verpasst hätten und ihre schlechte Position in den Großstädten maßgeblich mit dadurch zu erklären sei. Sie sind jetzt historisch dabei, den nächsten großen Themenblock zu versenken und sich weiter Ihre Stellung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu vergeigen,

(Beifall PIRATEN)

weil Sie das Thema Datenschutz und Internet nicht verstehen und nicht erkennen, dass Sie sich in diesem Punkt anders positionieren müssen, als das heute der Kollege Bernstein dargelegt hat.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Wir Grünen begrüßen die Intention des PIRATEN-Antrags ausdrücklich. Die in den zwölf Einzelpunkten aufgeführten Nachverhandlungsaufträge zum Schutz der Nutzer vor staatlichen Eingriffen in das Telekommunikationsgeheimnis weisen allesamt auf schwerwiegende Mängel und Lücken im Bereich des Datenschutzes im vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung hin.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Ein Telekommunikationsgesetz, welches die im Antrag der PIRATEN geforderten Vorgaben nicht erfüllen würde, wäre aus Sicht des Datenschutzes mangelbehaftet und würde höchstwahrscheinlich nicht den Vorgaben der einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entsprechen.

(Beifall PIRATEN)

Ich sage „höchstwahrscheinlich“. Als langjährig als Rechtsanwalt tätiger Mensch weiß ich, dass wir vor Gericht und auf hoher See alle in Gottes Hand sind. Das Gesetz ermöglicht in seiner jetzigen Form den ungehinderten Zugriff von Sicherheitsbehörden einschließlich der Geheimdienste auf die Kundenregister und Bestandsdaten bei den Internetprovidern. Ein weiterer Schritt zum gläsernen Menschen steht bevor. In dieser Einschätzung sind wir Grünen uns – namentlich unser für die Netzpolitik im Bundestag zuständige Abgeordneter Dr. Konstantin von Notz – mit den PIRATEN und dem Kollegen Dr. Breyer völlig einig.

(Beifall PIRATEN und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vor allem die Forderung eines Richtervorbehalts, das Setzen hoher Eingriffsschwellen bei der Auslieferung von Telekommunikationsbestandsdaten an staatliche Ermittlungsbehörden, ist uneingeschränkt richtig. Gleiches gilt für die Forderung nach einer sehr restriktiven Regelung für die Preisgabe von Zugangscodes an Ermittlungsbehörden und Geheimdienste.

(Beifall PIRATEN)

Entsprechend ist auch die Einführung einer elektronischen Auskunftsschnittstelle für ein automatisiertes Massenabrufverfahren durch Sicherheitsbehörden datenschutzrechtlich ein No-Go,

(Beifall PIRATEN)

das es möglichst zu verhindern gilt.

(Beifall Anke Erdmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Der Sache nach ist der Antrag also gut. Im Bereich ihres Kerngeschäfts gibt es an der Arbeit der PIRATEN nichts zu meckern.

Gleichwohl haben wir Zweifel, ob die mit dem Antrag verfolgte Absicht, die reine Lehre des Nutzerschutzes von Schleswig-Holstein aus in der Bundesgesetzgebung bedingungslos durchzusetzen, tatsächlich erfolgreich umgesetzt werden kann. Wir wissen doch alle, dass man bei der komplizierten politischen Gemengelage des Bundesrates mit einem so umfangreichen, vor allem inhaltlich nicht abgestuften Forderungskatalog in den Verhandlungen keinen Blumentopf gewinnen kann. Nach aller Erfahrung verlangt die Prokura, mit der wir als Parlament die Regierung für die entsprechenden Verhandlungen und Abstimmungsgespräche ausstatten wollen, einen flexiblen Auftrag. Es wird also um die Erarbeitung einer abgestuften Verhandlungslinie gehen, in der Prioritäten zwischen den einzelnen Forderungen, weiche und harte Punkte definiert werden müssen. Der Antrag ist in seiner vorliegenden Form zwar als Thesenpapier darüber, wie eine wunderbare Netzwelt aussehen sollte, sehr geeignet, nicht aber als streng bindender Verhandlungsauftrag für den Bundesrat.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier ist eine abgestufte und vor allem Spielraum lassende Forderungsliste gefragt, damit wir im Bundesrat nicht vor die Wand rennen und letztlich überhaupt nichts durchsetzen können. Der Antrag sollte deshalb zu einer inhaltlichen Überprüfung und Überarbeitung in den Innen- und Rechtsauschuss überwiesen werden. – Vielen Dank.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD, PIRATEN und SSW)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Für die FDP-Fraktion hat der Fraktionsvorsitzende, Herr Abgeordneter Wolfgang Kubicki, das Wort.

Wolfgang Kubicki [FDP]:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem ich am Fernsehschirm verfolgen durfte, dass der Herr Präsident es unheimlich gern hätte, dass ich noch rede, habe ich mich entschieden, zu dem wichtigen Thema auch noch einen Beitrag zu leisten, bevor wir dann in die Abendpause gehen.

(Heiterkeit)

Zu Beginn möchte ich Folgendes sagen: Das Thema, mit dem wir uns hier beschäftigen, ist tatsächlich ein sehr diffiziles Thema. Wir sollten nicht so tun, als bestünde in diesem Hause ein grundlegender Dissens über die Frage, wie weit Datenschutz reichen sollte oder auch nicht.

(Zuruf BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Ja, die stellen sich ja nun neu auf, wie wir festgestellt haben.

(Heiterkeit – Beifall)

Es war ja schon in der letzten Legislaturperiode offenkundig, dass bei Fragen dieser Art auch zwischen den Freunden der Union und uns ein gewisser Dissens herrschte in der Frage der Verfassungsgemäßheit von Sicherungsmaßnahmen für staatliche Organe und der Verwendung der entsprechend erhobenen Daten. Ich sage es einmal ganz vorsichtig, weil ich glaube, dass wir im Innen- und Rechtsausschuss tatsächlich zu einer stringenten, wahrscheinlich auch einheitlichen Auffassung gelangen werden. Ich möchte das deshalb betonen, weil nicht nur Herr Dr. Breyer, ohne dass ich das jetzt wiederholen will, vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt und gewonnen hat – was Datenspeicherung angeht – sondern auch der Abgeordnete Wolfgang Kubicki, Herr Professor Dr. Samson als Verfassungsrichter,

(Beifall CDU und PIRATEN)

Frau Leutheusser-Schnarrenberger und auch wir, vertreten von Herrn Dr. Burkhard Hirsch. Gleichwohl sollte man, Herr Dr. Breyer, nicht das Gefühl vermitteln, dass alles das, was einem selbst nicht weit genug geht, gleichzeitig auch schon verfassungswidrig wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Beschluss vom 24. Januar diesen Jahres festgestellt, dass das von Rot-Grün im Jahre 2004 eingeführte Telekommunikationsgesetz zum Teil verfassungswidrig ist. Auch das, Herr Kollege Peters, muss man vielleicht einmal sagen, weil nicht alles, was böse ist, von Schwarz oder Schwarz-Gelb kommt.

(Heiterkeit)

Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner ausführlichen Begründung die sich aus dem Grundgesetz ergebenden strengen Maßstäbe ausgeführt und hat eine klare Abgrenzung zwischen Grundrechten und der Erhebung von Daten und Informationen durch Strafverfolgungsbehörden, Bundeskriminalamt und anderem getroffen. Ich möchte hier ausdrücklich unterstreichen, dass der Auftrag, der sich aus dem Verfassungsgerichtsbeschluss ergibt, zu allererst § 113 Telekommunikationsgesetz betrifft. Die anderen von den Beschwerdeführern angegriffenen Paragrafen, §§ 95, 111 und 112 TKG, waren nicht verfassungswidrig, Herr Kollege Dr. Breyer. Auch das müssen wir im Zweifel beachten. Der vom Bundeskabinett Ende Oktober beschlossene Gesetzentwurf greift diese Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts auf und schafft, soweit wir das zum jetzigen Zeitpunkt überblicken können, weder neue Befugnisse noch erweitert er bestehende Befugnisse. So wird ganz konkret die Anzahl der zur Erhebung der Daten berechtigten Behörden nicht erhöht. Aber gleich hier möchte ich sagen: Auch wir sehen in dem einen oder anderen Punkt vielleicht noch einen gewissen Nachbesserungsbedarf. Sie wissen ja, wie das in Koalitionen ist. Die Bundesjustizministerin hätte sich deutlich mehr vorgestellt als das, was als gemeinsame Linie vereinbart worden ist. Aber vielleicht können wir von hier aus ein sinnvolles Signal geben.

Was mich, Herr Dr. Breyer, an dem PIRATEN-Antrag stört, ist, das sage ich ganz deutlich, dass er ständig – mal offen, mal eher subtil – unterstellt, es würde seitens der politischen Entscheidungsträger lässig mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben umgegangen, als sei Verfassungsrecht für die beteiligten Personen etwas, was der Beliebigkeit unterstellt sei. Das weise ich ausdrücklich zurück. Selbst dem Bundesinnenminister und anderen Beteiligten würde ich nicht unterstellen, dass sie mit ihrem Ansinnen willkürlich die verfassungsrechtlichen Grundsätze überschreiten oder auch nur in Abrede stellen. Aus grundsätzlichen Erwägungen lehnen ja die PIRATEN auch einiges ab und deklarieren es als verfassungswidrig, obwohl sie auch von neutraler Stelle, beispielsweise vom Wissenschaftlichen Dienst, anders belehrt worden sind. Aber das scheint Sie dann auch nicht weiter zu stören. Ich habe häufiger den Eindruck, dass Sie manchmal von Angst getrieben sind und deshalb über das Ziel hinausschießen. Ich habe gerade die Klage der vier Kolleginnen und Kollegen zur Dotierung der Parlamentarischen Geschäftsführer gesehen.

(Beifall PIRATEN)

Es ist völlig unbestritten, dass Sie das Recht haben, sich entsprechend zu verhalten. Aber jedenfalls haben alle anderen Beteiligten, auch neutrale Stellen nicht nur dieses Hauses, sondern auch anderswo, gesagt, dass Sie damit wahrscheinlich scheitern werden. Aber wir werden das ja sehen.

Das hehre Ziel ist richtig. Es ist wichtig, dass wir klare datenschutzrechtliche Regelungen haben und die Rechte jedes Einzelnen soweit wie möglich schützen. Wichtig ist auch, dass nur im Ausnahmefall durch einen überschaubaren und klar definierten Kreis von Behörden dieses Recht eingeschränkt werden darf. Deshalb sollten wir uns tatsächlich mit der Materie in dem zuständigen Ausschuss beschäftigen.

Zum Beispiel ist – das sage ich ausdrücklich – in der Tat der von den PIRATEN geforderte Richtervorbehalt für die Auslieferung von Telekommunikationsbestandsdaten intensiver zu erörtern. Das muss nicht unbedingt ein Richtervorbehalt sein, aber jedenfalls muss es einen Vorbehalt geben, ein Gremium irgendeiner Art, das die Belange der Betroffenen schützt und nicht dem verständlichen Wunsch von Sicherheitsbehörden nachgibt, einen möglichst großen Datenpool aufzubauen. Außerdem möchten wir insbesondere von der Landesregierung wissen, inwieweit es auch durch die avisierte bundesgesetzliche Änderung landesgesetzlichen Anpassungsbedarf geben muss, etwa beim Landesverwaltungsgesetz. Dass es ihn geben muss, wissen wir. Aber es wäre ganz gut, Herr Innenminister, wenn wir bis zum 30. Juni 2013, also im Vorgriff, vielleicht Anfang des Jahres, erfahren könnten, worin die Landesregierung denn jetzt einen Änderungsbedarf sieht, damit wir das rechtzeitig nicht nur aufgreifen, sondern auch erörtern können. Wir sollten aber – Herr Kollege Peters, da gebe ich Ihnen recht – die Erörterung in der notwendigen Ruhe durchführen. Es hilft uns in der Sache nichts, wenn wir den jeweils anderen ständig unlautere Motive unterstellen. Ich bin mir nach 20-jähriger Kenntnis der Diskussionen in diesem Hohen Hause sicher, dass jedenfalls eine überwältigende Mehrheit, mindestens eine Zweidrittelmehrheit, in der Lage sein wird, sich auf gemeinsame Vorschläge zu einigen.

(Beifall FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Für die Abgeordneten des SSW hat der Herr Abgeordnete Lars Harms das Wort.

Lars Harms [SSW]:

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Persönliche Daten müssen geschützt werden, denn sie sind persönliches Eigentum. Das hören Sie nicht zum ersten Mal, denn in vielen Bereichen haben wir uns als Landtag schon für den Schutz von persönlichen Daten stark gemacht. Der Antrag der PIRATEN will sich heute hier anschließen, und das ist auch gut so. Der SSW unterstützt die Ansicht, dass Anonymität grundsätzlich gewahrt werden muss, wobei es jedoch auch Ausnahmen geben muss, zum Beispiel bei der Suche nach möglichen Straftätern. In diesem Fall muss die Ausnahmeregelung genau geregelt und überprüft werden. Darüber sind wir uns, glaube ich, auch alle einig.

Aber der Antrag der PIRATEN wirft auch grundsätzliche Fragen auf, zum Beispiel die Frage, ob wir das Bundeskriminalamt oder die Zollverwaltung als Datenmoloch begreifen, der Daten über die Bürger abspeichert, obwohl kein Bedarf dafür besteht, oder ob wir der Auffassung sind, dass diese Behörden und andere Verfassungsorgane das Recht und die Unversehrtheit der Bürger beschützen und man deshalb nachvollziehbare Rahmen für ihre Tätigkeit aufstellen sollte. Ich glaube, dass man dem Bundeskriminalamt und dem Zollkriminalamt, wenn man es denn tut, enge Grenzen setzen sollte, wann und wie diese auf Telekommunikationsdaten zurückgreifen können sollten.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Meine Damen und Herren, grundsätzlich muss hier natürlich auch über den Richtervorbehalt zu der Frage, die die PIRATEN in ihrem Antrag formuliert haben, intensiv diskutiert werden. Ich glaube, darüber sind wir alle einer Meinung.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Für uns besteht aber nicht ausschließlich das Problem darin, dass Daten erhoben werden und dass es Stellen gibt, die Daten erheben. Vielmehr ist doch die Frage, welchen Daten erhoben werden und zu welchem Zweck dies geschieht. Die Abfrage von Zugangssicherungscodes, wie beispielsweise von Passwörtern von Handys oder ähnlichem, ist ein tiefgreifender Einschnitt in die Privatsphäre der Bürger.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Die Problematik hierbei ist auch, dass der Betroffene sich nicht einmal mehr sicher sein kann, welchen Zweck die Abfrage hat und was vor allem mit seinen Daten geschieht, denn immerhin sind es ja seine Daten.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Außerdem gibt das Telekommunikationsunternehmen mit der möglichen Weitergabe der Zugangscodes selber auch die Kontrolle ab, und ist nicht mehr in der Lage, gesetzliche Voraussetzungen zu überprüfen.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Das führt damit auch für das Unternehmen zu einem Problem, dass man nämlich das Unternehmen für etwas belangen kann, obwohl es gar nicht mehr nachweisen kann, was mit den Daten geschehen ist, weil eine gesetzliche Grundlage geschaffen worden ist, die ihm das nicht mehr ermöglicht. Das ist schon ein irrer Kreislauf, und da müssen wir natürlich auch als Gesetzgeber beziehungsweise als Land Schleswig-Holstein einen entsprechenden Einfluss ausüben.

(Beifall SSW und PIRATEN)

Die Frage ist: Wer kann denn in dieser Situation überhaupt noch eine Form von Kontrolle garantieren? Der Benutzer selbst wird in einem solchen Fall gewissermaßen ausgeliefert, er ist hilflos und ohne Schutz. Die PIRATEN haben diese heikle Angelegenheit erkannt. Der umfassende Antrag beinhaltet zwölf konkrete Punkte, die in die richtige Richtung weisen. Schwierig hierbei ist natürlich die Absolutheit, in der diese Punkte gehalten sind. Von eben dieser Absolutheit würde ich abraten. Denn wenn eine Landesregierung verhandeln soll, dann braucht sie zwar ein Verhandlungsmandat – und da kann man gern auch einen Rahmen setzen -, aber sie braucht eben auch Flexibilität, da sie sonst niemals einen Kompromiss schließen könnte. Das gilt übrigens für uns alle gemeinsam. Wir sehen hier zwar Behandlungsbedarf, aber wir wollen der Regierung durchaus zugestehen, dass sie verhandlungsfähig bleibt. Wir wollen über dieses Thema auch in Ruhe beraten. Deshalb empfehlen wir die Überweisung in den Fachausschuss und sagen noch einmal ausdrücklich, dass die Zielrichtung des Antrags der PIRATEN genau die richtige ist.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und PIRATEN)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Für einen Dreiminutenbeitrag hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Patrick Breyer von der Fraktion die PIRATEN.

Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es freut mich, dass wir heute bei diesem Thema so viele „PIRATEN“ hier im Plenum sind.

(Beifall PIRATEN)

Wir sind gern bereit, im Ausschuss über die nähere Ausgestaltung dieses Antrages zu sprechen und darüber, ob man bestimmte rote Linien in Sollvorschriften umwandeln sollte. Ich will allerdings auch daran erinnern, dass Eile geboten ist, weil sich im Moment der Bundesrat damit beschäftigt. Wenn unsere Eckpunkte noch in die Stellungnahme des Bundesrates einfließen sollen, müssen wir sie jetzt herausgeben und sollten gleichzeitig den Wissenschaftlichen Dienst und Ähnliche mit einer Prüfung beauftragen.

Von meinem Lob ausgenommen ist die Stellungnahme des verehrten Herrn Kollegen Dr. Bernstein. Diese Stellungnahme war wirklich unterirdisch; ich kann es nicht anders sagen.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Sie war von Falschheiten nur so gespickt. Zunächst einmal hat § 113 Telekommunikationsgesetz mit Vorratsdatenspeicherung nicht einmal ansatzweise irgendetwas zu tun. Er regelt keine Vorratsdatenspeicherung; es steht auch nichts darüber drin. Er ist, wie Sie zu Recht sagen, aus dem Jahr 2005. Damals gab es die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung noch nicht einmal. Es ist ein Gesetz von Rot-Grün gewesen und kein Gesetz der CDU-geführten Bundesregierung. Auch das war falsch.

Richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht kein Recht auf Anonymität festgestellt hat und dass nicht alle von unseren Vorschlägen und Forderungen verfassungsrechtlich zwingend vorgegeben sind. Das haben wir auch nicht behauptet. Wir sind aber genauso wie viele andere Redner hier der Meinung, dass man politisch nicht an die Grenze des maximal noch Zulässigen gehen darf, dass Bürgerrechte nicht so weit, wie es eben noch möglich ist, ausgehöhlt werden dürfen.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wer nämlich, wie leider allzu oft die CDU, an der Leitplanke der Verfassung entlang schrammt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er immer wieder in den Abgrund des Überwachungsstaates abstürzt. Jedes Mal, wo das Bundesverfassungsgericht ein Gesetz gekippt hat, ist das der Fall gewesen.

(Beifall PIRATEN)

Nach dieser Serie müssen wir Konsequenzen ziehen und müssen grundrechtsfreundlich und vorsorgend tätig werden. Wir müssen mehr tun, als wir unbedingt tun müssen, zum Schutz der Bürgerrechte. Ich freue mich darauf, dass wir das im Ausschuss tun werden.

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Für einen weiteren Dreiminutenbeitrag hat das Wort von der CDU-Fraktion der Herr Abgeordnete Dr. Axel Bernstein.

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Dinge würde ich nach dieser Debatte gern klarstellen. Erstens. Dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, an welcher Stelle man der Anonymität des Einzelnen im Bereich Kommunikation den Vorrang gibt oder einem Sicherheitsbedürfnis oder den Anforderungen der Aufklärung möglicher Straftaten, das ist eine politische Abwägung. Da sind wir unterschiedlicher Auffassung. Ich teile die Position der Bundesregierung von CDU und FDP in ihrem Gesetzentwurf, der jetzt als Reaktion auf die Verfassungsbeschwerde, die Sie mit auf den Weg gebracht haben, im Beratungsverfahren ist. Darüber kann man streiten. Mein eigentlicher Kritikpunkt – das wird aus meiner Rede auch deutlich, und da lasse ich mir auch nicht unterstellen, ich hätte etwas anderes gesagt – ist, dass Sie in Ihrem Antrag das, was Sie an dem Gesetzentwurf kritisieren, mit dem vermengen, was Sie an politischen Überzeugungen haben und was vom Verfassungsgericht ausdrücklich als falsch verworfen wurde. Da versuchen Sie im Parlament zu suggerieren, es gäbe Punkte, über die man jetzt im Rahmen des aktuellen Gesetzgebungsverfahrens diskutieren müsste, und vermengen das in einer Debatte mit parteipolitischen Überzeugungen der PIRATEN, die Sie versuchen, unter dem Deckmantel dessen, was das Verfassungsgericht geurteilt hat, mit einem besonderen Gewicht zu versehen, das es aufgrund des Spruchs aus Karlsruhe ausdrücklich nicht hat.

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Gestatten Sie eine Zwischenbemerkung des Herr Abgeordneten Dr. Breyer?

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Ja.

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Herr Dr. Breyer, Sie haben das Wort.

Dr. Patrick Breyer [PIRATEN]:

Danke, Herr Kollege. – Würden Sie mir zustimmen, dass, wenn das Bundesverfassungsgericht eine bestimmte Grenze nicht als verfassungsrechtlich zwingend ansieht, sie trotzdem nicht falsch sein muss und dass sie deswegen noch nicht als falsch verworfen worden ist, nur weil sie nicht verfassungsrechtlich eingezogen worden ist, dass sie also politisch richtig sein kann?

(Beifall PIRATEN, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Dr. Axel Bernstein [CDU]:

Genau das ist der Punkt, den ich in Ihrer Argumentation kritisiere. Man kann unterschiedlicher Auffassung darüber sein, wie weit man im Bereich der Instrumente der inneren Sicherheit gehen will. Aber wenn das Verfassungsgericht explizit feststellt, es gibt kein Anrecht auf anonyme Kommunikation, dann ist das für mich ein Punkt, der raus ist aus der politischen Diskussion. Das können Sie gern weiter machen. Aber da sind wir nicht mehr an Bord.

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Weitere Wortmeldungen aus dem Parlament liegen nicht vor. Dann hat jetzt für die Regierung der Innenminister des Landes, Andreas Breitner, das Wort.

Andreas Breitner, Innenminister:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Januar 2012 zur Speicherung und Abfrage von Bestandsdaten nach dem Telekommunikationsgesetz umsetzen. Es geht um das manuelle Abrufverfahren von Bestandsdaten wie Name, Anschrift, Bankverbindung und Passwörter durch die Sicherheitsbehörden. Es geht nicht um Verkehrsdaten, also wer mit wem per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung war. Es geht nicht um Inhalte von Gesprächen oder E-Mails. Bislang stützte sich der Zugriff auf Bestandsdaten auf Regelungen in der Strafprozessordnung und in den Polizei- und Verfassungsschutzgesetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat diese allgemeinen Regelungen beanstandet und neue Befugnisnormen spätestens ab dem 1. Juli 2013 gefordert. Zudem hatte es dazu Vorgaben wie das sogenannte Doppeltürenmodell gemacht. Danach müssen sowohl neue Rechtsgrundlagen für die Übermittlung von Bestandsdaten durch die Telekommunikationsanbieter an die Sicherheitsbehörden als auch für den Abruf der Bestandsdaten durch die Sicherheitsbehörden in den Fachgesetzen geschaffen werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch Schleswig-Holstein muss bis spätestens 1. Juli 2013 dem polizeirechtlichen Teil des Landesverwaltungsgesetzes und das Landesverfassungsschutzgesetz anpassen. Dabei müssen wir auf den Bund warten, damit sich die Befugnisse im Polizeirecht und im Landesverfassungsschutzrecht auf eine bundesrechtlich zitierfähige Regelung beziehen können.

Fest steht: Unsere Landespolizei und unser Landesverfassungsschutz brauchen ab dem 1. Juli 2013 Zugriffe im manuellen Auskunftsverfahren auf Bestandsdaten bei den Telekommunikationsdienstleistern. Das manuelle Auskunftsverfahren ist unverzichtbar, weil nur mit ihm eine vorgeschaltete automatisierte Abfrage über die Bundesnetzagentur einzelfallbezogen konkretisiert werden kann. Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist lässt sowohl für die Bundesgesetzgebung als auch für die notwendige Anpassung unseres Landesrechtes nur noch ein sehr kleines Zeitfenster. Gleichwohl sind wir gut beraten, in dieser Frage der Regelung grundrechtsrelevanter Eingriffe die Gründlichkeit vor Schnelligkeit zu stellen.

(Beifall PIRATEN)

Denn eine unsaubere rechtliche Ausgestaltung, die möglicherweise erneut Gegenstand verfassungsrechtlicher Überprüfung wird, hilft niemandem weiter. Es ist daher unerlässlich, grundlegende offene Fragen eindeutig und gerichtsfest zu klären. Dazu gehört die bislang im Gesetzentwurf fehlende Bestimmung, dass Auskünfte über Telekommunikationsdaten nur im Einzelfall erteilt werden dürfen.

(Beifall PIRATEN)

Nicht enthalten ist auch die Beschränkung der Bestandsdatenerhebung im Bereich der Gefahrenabwehr auf eine konkrete Gefahr.

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Das anstehende Bundesratsverfahren bietet die Gelegenheit, diese Diskussion zu führen. Wir werden jedenfalls genau hinsehen und bei aller Regelungsbedürftigkeit den Gesetzentwurf intensiv prüfen. – Herzlichen Dank.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, PIRATEN und SSW)

Vizepräsident Bernd Heinemann:

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Beratung. Es ist Ausschussüberweisung beantrag worden, und zwar der Drucksache 18/311 in den Innen- und Rechtsausschuss. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen? – Dann ist das einstimmig so beschlossen.

Ergänzung vom 28.11.2012:

Siehe auch die Pressemitteilung und Stellungnahme des Unabhängigen Landesdatenschutzzentrums.

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