Wolfgang Dudda zu TOP 1 (Aktuelle Stunde zum Friesenhof): Das Sozialministerium hat mittelbar an den Grundrechtsverletzungen im Friesenhof mitgewirkt

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Frau Ministerin Alheit, Sie werden auf der Internetseite Ihres Ministeriums mit dem Satz
„Mein Ziel ist es, Kinder und Jugendliche in Einrichtungen insgesamt besser zu schützen.“
zitiert. Um genau das zu tun, müssen Ihr Haus nicht einmal verlassen. Man kann auch
sagen: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah?

Das zu Ihrem gehörende Landesjugendamt hat doch noch im April diesen Jahres einen
Vertrag mit dem Friesenhof geschlossen, nicht wahr? Dieser Vertrag ,,legalisiert“ üble, der
Schwarzen Pädagogik zuzurechnende Praktiken des Friesenhofes. Der Friesenhof hat sich
mal eben pfiffig durch Ihr Haus seine ,,Bootcamp-Methoden“ absichern lassen, in dem er
sich diese Praktiken in seinen Vertrag mit dem Landesjugendamt hineinschreiben ließ.
Zwei Beispiele aus diesem Vertrag möchte ich hier anführen. Ich beginne mit dem
Paragraphen 3, der da lautet:“Persönliche Gegenstände, die ausschließlich emotionalen
Interessen der Bewohnerinnen dienen und deren Besitz unter Berücksichtigung der
persönlichen Geschichte der jeweiligen Bewohnerin keine Gefährdung ihres Wohl oder
Beeinträchtigung ihrer Erziehung bedeutet, werden den Bewohnerinnen nicht
abgenommen.“

Dieser Passus ist die Legalisierung von Willkür. Er berechtigt dazu, den Bewohnerinnen alle
persönlichen Gegenstände wegzunehmen. Die Dehnbarkeit von ,,emotionalen Interessen
dienen“ und ,,keine Beeinträchtigung ihrer Erziehung“ ist juristisch betrachtet außerhalb
jeder eigentlich nötigen Bestimmtheit. In der Praxis berechtigt diese Passage die Mitarbeiter
des Friesenhofes dazu, den Bewohnerinnen alles außer dem Teddybär aus Kindertagen
wegzunehmen.

Dies ist nicht nur pädagogisch äußerst fragwürdig. Das ist brutal und missachtet
Grundrechte!

Mitarbeiter Ihres Hauses, Frau Ministerin Alheit, haben genau das allerdings für so sinnvoll
gehalten, dass sie es in dem Vertrag festschreiben ließen.

Viel übler ist jedoch das, was wir im Paragraphen 5 des Vertrages finden. Hier heißt es:
„Mit Zustimmung der Personensorgeberechtigten und des leistungszuständigen
Jugendamtes wird den Bewohnerinnen ein Kontakt mit Dritten in den ersten acht Wochen
nach ihrer Aufnahme in eine Camp-Einrichtung grundsätzlich untersagt. Hiervon
ausgenommen sind telefonische und (unkontrollierte) schriftliche Kontakte der
Bewohnerinnen zu dem jeweils leistungszuständigen Jugendamt und dem Land.“
Eine ähnlich organisierte, von staatlichen Stellen gewollte totale Kontaktsperre ist mir nur in
Verbindung mit dem Umgang mit den in Stuttgart-Stammheim einsitzenden Terroristen in
Erinnerung!

Die ,,Zustimmenden“, also der Vormund und/oder das zuständige Jugendamt erteilen ihren
Segen zu dieser Kontaktsperre doch erst nach entsprechendem Bericht des Friesenhofes.
Was die ,,Zustimmenden“ von der Welt der betroffenen Bewohnerin wussten, bestimmt
doch der Friesenhof. Und was ist eigentlich mit dem Begriff ,,Land“ gemeint? Wir hier im
Landtag? Die Behörden des Landes? Deutschland?

Machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch einmal für wenige Augenblicke die Augen
zu und versetzen sich in die Lage einer Bewohnerin des Friesenhofes. Stellen Sie sich dann
vor, wie Ihr ganzes bisheriges Leben systematisch ausgelöscht wird und Sie darüber mit
niemand anderem reden können als denen, die für genau dieses Auslöschen verantwortlich
sind. Wie hilflos und ausgeliefert fühlen Sie sich dabei?

Und selbst wenn diese ,,ersten acht Wochen“ vorüber sind, kann die Kontaktsperre
ausweislich der nachfolgenden Paragraphen dieses Vertrages fortgesetzt werden. Demnach
kann sich eine Bewohnerin nur in Gegenwart eines Mitarbeiters des Friesenhofes
telefonisch irgendwo beschweren. Im Hinblick auf den bekannt gewordenen Verdachts des
sexuellen Missbrauchs dort ist dieser Vergleich zulässig: Das ist so, als wenn das Opfer
einer sexuellen Gewalttat telefonisch in Gegenwart des Täters bei der Polizei Anzeige
erstattet.

Das alles ermöglicht also ausgerechnet ein zwischen dem Landesjugendamt und dem
Betreiber Friesenhof geschlossener Vertrag und Sie, Frau Ministerin Alheit, sagen selbst
„Mein Ziel ist es, Kinder und Jugendliche in Einrichtungen insgesamt besser zu schützen.“?
Die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes haben mit dem Artikel 19 die mögliche
Einschränkung von Grundrechten präzise geregelt und dies so, dass genau solche Dinge wie
in dem von mir hier zitierten Vertrag nicht passieren sollen. Ausdrücklich verweist der
Artikel 19 in seinem 4. Absatz auf Artikel 10, in dem das Post- und Fernmeldegeheimnis
geregelt ist.

Mit den Köpfen in Ihrem Haus, Frau Ministerin, die für solche Verträge verantwortlich
zeichnen, lassen sich die Schritte, die seitens des Landes zur Verbesserung der Situation
von Kindern und Jugendlichen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen gegangen werden
müssen, bestimmt nicht gehen.

Neben dem Satz ,,Warum in die Ferne schweifen, wenn das Schlechte liegt so nah“ gebe ich
Ihnen die Frage ,,Warum tanzen die Mäuse auf dem Tisch, obwohl die Katze im Haus ist?“
mit auf den Weg.

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