Die Rede von Torge Schmidt in der Landtagssondersitzung am 4. September 2014

Wir stehen hier heute auf Antrag von CDU und FDP. Die Verantwortung dafür liegt aber nicht bei der Opposition. Die Verantwortung dafür liegt in vor allem bei unserem Ministerpräsidenten.

Wir Piraten unterstützen den vorgelegten Antrag von CDU und FDP nicht. Unser eigener Antrag mag auf den ersten Blick ähnlich erscheinen. Das ist er auch, aber eben die kleinen, feinen Grautöne sind wichtig. Wir sind uns bewusst, dass eben diese Grautöne von vielen nicht mehr wahrgenommen werden und wurden und da nehmen wir uns auch selbst nicht aus.

Diese 24. Sitzung, diese Sondersitzung des Landtags findet statt in einem Stadium eines laufenden juristischen Prozesses, in dem sich von Seiten der Politik jede Einmischung verbietet.

Darum möchte an dieser Stelle zwei Dinge für meine Fraktion festhalten: Wir sind zufrieden damit, dass die Staatsanwaltschaft die Anhaltspunkte, die nicht zuletzt das Verfahren zur Akteneinsicht rund um die Rückkehroption der amtierenden Wissenschaftsministerin erbracht hat, jetzt genau untersucht und ausgewertet werden.

Bis dahin haben alle im Landtag als Opposition bezeichneten Fraktionen gut zusammen gearbeitet und den ihr zugewiesenen Auftrag sauber erfüllt: Sie haben die Regierung kontrolliert.

Ich zitiere hier gerne einen Freund aus den Reihen der Sozialdemokratie: „Opposition muss wehtun“, hat Sigmar Gabriel mal gesagt und er hat Recht damit.
Während die Regierung an dieser Stelle keinen Grund zum Handeln sah, hat die Opposition diesen Handlungsbedarf geschlossen festgestellt. Das war für mich fast schmerzlich, denn ich habe nie die sachliche Nähe meiner Fraktion zu dieser Regierung verschwiegen.
Hier aber wurde die Sachlichkeit verdrängt und durch persönliche Interessen überlagert. Darum wurden wir zur gemeinsamen Opposition und ich wiederhole gerne, was wir hier schon oft gesagt haben: Diese Regierung schmiedet Koalitionen gegen sich, die es natürlicherweise gar nicht gibt!

Diese Koalition der Oppositionsfraktionen hat gearbeitet und der Öffentlichkeit einen Faktenkatalog vorgelegt, der offenbar Anlass zum staatsanwaltschaftlichen Handeln war. Ich bleibe dabei: Das ist gut so!

Zum Zweiten halte ich für die Piraten fest: Allein die Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft handelt, verpflichtet uns nun zu Zurückhaltung. Es gibt keinen Grund für politische Begleitung zu einem behördlichen Vorgehen, dem wir vertrauen und das wir abwarten wollen.

Heute gibt es über diesen Sachstand hinaus keine neuen Fakten.

Es gibt aber leider alte politische Zustände. Es gibt die alten politisch Handelnden und die alten politisch Verantwortlichen. Darauf zielen wir mit unserem Antrag ab. Wir wollen an Grundsätze erinnern, die eigentlich obligatorisch sind, die wir aber in Teilen vergessen haben.

Piraten fühlen sich hier in der Pflicht. Zum einen, weil wir wirklich einen neuen Politikstil wollen, zum anderen, weil – ja, Herr Dr. Stegner mag das nicht hören, aber es ist nun einmal so – einige Piraten in Torsten Albig auch ihren Ministerpräsidenten sehen, den sie mitgewählt haben und für dessen Auftreten und Handeln sie sich jetzt schämen.

In den vielen Beiträgen zur Berichterstattung war auch von den Rechten der „Bürgerin Wende“ die Rede. Diese Rechte sind uns Piraten mehr als wichtig. Sie gehören in unseren „Kodex“ und wir werden – jeder Strömung von Opposition und Regierung zum Trotz – die Unschuldsvermutung hochhalten. Das tun wir, obwohl wir viele Fakten bereits kennen, wir tun das, weil es zu den Grundfesten unseres Rechtsstaats gehört, weil wir ohne das Vertrauen darauf nirgendwo noch Politik nach bestem Wissen und Gewissen machen könnten.

Politik nach bestem Wissen und Gewissen zu machen heißt aber nicht, zu schweigen, wo offene Worte im politischen Raum gefordert sind. Das heißt nicht, Politik nach Gutsherrenart zu unterstützen.

So hatte ich, der „Bürger“ und Politiker Torge Schmidt schon vor der Sommerpause und völlig unabhängig von den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft für mich persönlich entschieden, dass diese Bildungsministerin politisch erledigt ist.

Ich habe das für mich übrigens nicht nur an der Frage der Rückkehroption festgemacht, sondern vornehmlich an den bildungspolitischen Erlebnissen, die wir ihr bis dahin zu verdanken hatten. Wir haben den Verfall der Dialogkultur im Rahmen des Schulgesetzes erlebt – und bevor jetzt wieder jemand auf den Regierungsbänken aufjault: Das waren Rückmeldungen aus dem Kreise der potentielle Betroffenen, die das so empfunden haben. Wir haben erlebt, wie ein Schulgesetz durchgepeitscht wurde, dessen negative Auswirkungen wir heute bereits spüren. Ich erinnere an die „Experimentierklausel zum Erhalt kleiner Schulstandorte“ zu der der Staatssekretär im letzten Bildungsausschuss eingestanden hat, dass diese möglicherweise Erwartungen bei den Menschen geweckt hat, die so nicht zu erfüllen sind. Da muss jetzt mit einer entsprechenden Verordnung nachgearbeitet werden. Das ist an sich nicht schlimm, zeigt aber, wie handwerklich unsauber das Gesetz gestrickt ist. Von „Hinterhältigkeit“ war da von Seiten der Betroffenen die Rede, wenn sie über die Bildungsministerin sprachen.

Diese Ministerin hat ihre Ideologie durchgepeitscht, rücksichtslos und respektlos. Das hatten wir Piraten tatsächlich anders erwartet. Mehr echten Dialog und mehr sachlichen Austausch. Das Kuriose ist doch, dass wir inhaltlich oft ganz nahe bei der Regierung sind. Leider hat es diese Regierung geschafft, diese Nähe durch die Querelen um diese eine Person immer wieder zu einer großen Entfernung zu machen. Sie haben eine sachliche Politik im Bereich der Bildung unmöglich gemacht.

Da herrscht bei uns Piraten eine große Unzufriedenheit, weil wir gerne wichtige und gute bildungspolitische Themen auf den Weg gebracht hätten, weil wir uns gerne in der Sache auseinander gesetzt hätten, dies aber nicht möglich war, weil sich immer wieder mit Frau Wende Streitigkeiten entwickelten, die auch der größte Sympathisant nicht hinnehmen kann. Wir sind inzwischen so weit, dass inhaltliche Kritik – wie z.B. am Inklusionskonzept – von dem Kollegen Habersaat grundsätzlich als Ministerinnen-Schelte abgetan wird. Wir sind mithin so weit, dass sachliche Kritik nicht mehr wahrgenommen wird, weil sie als politisch inkorrekt dargestellt wird von denen, die Zweifel nicht aufkommen lassen dürfen, weil die Mehrheit so knapp ist in diesem Haus.

Zu den Themen Respektlosigkeit und schlechten Stil hatten wir natürlich auch schon Debatten in diesem Haus und immer ging es auch um Frau Wende.

Da hat sich das Festhalten an ihr tatsächlich nicht nur zu einer Belastung für die Regierung, sondern auch für die Opposition entwickelt, weil sachliche Auseinandersetzungen unmöglich gemacht wurden. Frau Wende hat das unmöglich gemacht. Herr Albig hat das mit seinen Beschimpfungen von kritischen Bürgern und der Opposition unmöglich gemacht. Herr Stegner macht das ständig, das ist nichts Neues, aber es hat eine Dimension erreicht, die sprachlos macht. Wenn der politisch unverdächtige Verdi-Verhandlungsführer den SPD-Landesvorsitzenden in das Bild eines „linken Clowns“ setzt, dann spricht das Bände und die neuerlichen Twitter-Attacken gegen zwei Oppositionsparteien dokumentieren, dass Herr Kühhirt wohl Recht hat. Ich hatte gehofft, Ihr Anspruch sei ein anderer – leider enttäuschen sie diese Hoffnung. Immer wieder.

Wenn diese Sondersitzung des Landtags schon an sich wenig Sinn in der Sache macht, dann bietet sie doch wenigstens die Chance für alle, sich zu erklären.
Herr Dr. Stegner darf erklären, warum jetzt alle Genossen ohne sachliche Begründung hinter der Bildungsministerin stehen müssen. Der Ministerpräsident darf erklären, warum er gegen jedes Verständnis in der Öffentlichkeit sich als politisch handlungsunfähig erweist. Die Vorsitzenden von CDU und FDP haben die Chance zu erklären, welche neuen Erkenntnisse sie haben, die heute zu diskutieren sind. Kommen Sie alle hierher, machen Sie reinen Tisch, erklären Sie der Öffentlichkeit Ihre Beweggründe – zeigen Sie, dass Ihre rätselhafte Politik erklärbar ist.

Es ist doch schon fast absurd, dass sich die Partei- und Fraktionsspitzen in der letzten Wochen zu einem Gespräch trafen, um über die Wahl- und Politikmüdigkeit der Menschen zu sprechen. Das grenzt doch an Realsatire, denn das, was wir seit Monaten um Frau Wende und Herrn Albig erleben und auch das, was wir hier und heute zu einem alten Sachstand aufführen, ist genau das, was die Menschen frustriert, was ihr Misstrauen in die Politik nährt und was die Menschen letztendlich davon abhält, einen einzigen von uns voller Überzeugung mit Verantwortung zu betrauen. Wenn wir ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben wir das Vertrauen alle zusammen auch nicht verdient.

Die Regierung nicht, weil sie das traurige Schauspiel zu einer endlosen ‚Parla-Novela‘ macht und damit jede Sachdiskussion verhindert; die Opposition nicht, weil sie versucht, aus diesem Albtraum politischen Profit zu schlagen. Und alle diejenigen, die um diese Problematik wissen und nicht versuchen, ihr Einhalt zu gebieten, auch nicht.

Damit meine ich nicht, dass man zu alledem keine Meinung haben darf, im Gegenteil! Diese Meinung bildet sich aus dem, was wir wissen und dem, was wir lesen und hören.

Gleich zu Beginn des neuen Schuljahres rund um die glücklose Ministerin gab es viele Schlagzeilen zu lesen: „Ministerin im Zwielicht“; „Reihenweise Rücktrittsforderungen“, „Die Unbelehrbare“ – das alles sind Schlaglichter, die man politisch betrachten kann.

Es ist nicht nur die Opposition, es ist vor allem die Öffentlichkeit, die sich von der „Nibelungen-Treue“ abwendet. Wir alle hier sehen den Schaden für das Amt und das Land – für die Politik insgesamt – nicht. Und liebe Kollegen – jeder einzelne von uns nimmt Schaden, denn jeder von uns ist mitverantwortlich. Wir sind in einen Strudel von Misstrauen und schlechtem Stil geraten, aus dem wir uns nur selbst befreien können. Die Hinweise der Menschen sind in Gesprächen, Leserbriefen, Petitionen und Telefonaten vielfältig, aus diesem Strudel Freischwimmen müssen wir uns aber selbst.

Viele Menschen vertrauen dieser Ministerin nicht. Man vermutet Vetternwirtschaft, Ämterschacherei, unsaubere Verbindungen und Methoden. Man vermutet das bei dieser Regierung umso mehr, als sie immer einen neuen, besseren Politikstil für sich reklamiert hat. Und wer sich mit hohen Ansprüchen sehr weit aus dem Fenster lehnt, der wird auch daran gemessen.

Die Lex-Weichert, eine Bürgerbeauftragte mit Parteibuch, der Streit um die Führung der Landeszentrale für politische Bildung und das Festhalten an einer Ministerin, die für viele zur Kristallisationsfigur von Politikverdruss geworden ist, zeigen der Öffentlichkeit deutlich, wie weit es her ist mit dem neuen, besseren Politikstil.

Allein die Aussage von Herrn Albig gegenüber dem NDR, dass er vielleicht nicht so „moralinsauer“ wäre, stünde in zwei Tagen die Wahl an, unterstreicht das.
Und das, meine verehrten Kollegen und Kollegen, das frustriert.

Wer Politikstil aufrichtig ändern will, muss entsprechend handeln. Lippenbekenntnisse zählen hier längst nicht mehr.

Wer sein Ministerpersonal nach einem sehr persönlichen Kriterienkatalog auswählt und dabei zwar sagt, dass Minister möglichst nicht nachgewiesen kriminell sein sollten, aber mit keinem einzigen Wort die fachliche Befähigung erwähnt, der darf sich nicht wundern, wenn die Menschen bei nachgewiesenen Fehlern dieser Fachlichkeit sich vornehmlich auf die Persönlichkeit stürzen.

Respektlos, beratungsresistent, unhöflich und auf jeden Fall den Fokus ganz auf sich selbst gerichtet, hat sich Frau Wende keine Freunde gemacht.
Eltern und Schüler haben das Vertrauen lange verloren; Lehrerverbände sind fachlich enttäuscht und mögen ihr nicht mehr folgen; die Hochschulen haben Zweifel, Schulleiter fühlen sich bevormundet … die Öffentlichkeit hat Frau Wende lange abgeschrieben. Nur der Ministerpräsident „kämpft um Wende“ wie wir lesen konnten.

Persönliche Beweggründe, Sympathie oder sonstiges sollte den politisch gewichtigsten Mann in diesem Land nicht lenken. Aber damit muss Herr Albig selbst klar kommen. Er, der nach eigenen Angaben die Akten zur Causa Wende so gut kennt, wie keiner sonst, muss auch mit dem Vorwurf der Lüge klar kommen. Frau Wende muss mit dem Vorwurf zurecht kommen, möglicherweise eine Betrügerin, zu sein. All das bewegt sich entweder im persönlichen, auf jeden Fall im juristischen Bereich.

Aus den juristischen Belangen halte ich mich – wie gesagt – raus. Dazu hat Frau Ministerin Spoorendonk alles gesagt, was relevant ist.

Mein politisches Fazit zum Fall lautet: das Land hat eine qualifizierte Persönlichkeit im Ministeramt verdient, der die Menschen trauen und der sie vieles zutrauen. Eine Persönlichkeit, die mit den Menschen spricht. Die Vorbild ist und viele Menschen zum Mitmachen bewegt. Eine Persönlichkeit, die nicht mit ihrem persönlichen Handeln jede Sachdiskussion überdeckt oder gar verhindert. Dafür hat der Ministerpräsident zu sorgen.

Er hat auch dafür zu sorgen, dass er selbst glaubwürdig und vertrauenswürdig ist. Er muss sich in den Dienst des Landes stellen.

Er sollte – und das ist vielleicht das Wichtigste – ehrlich mit sich und anderen sein.Wer sehr hohe moralische Ansprüche an andere stellt, muss diesen auch selbst gerecht werden.

Ich persönlich werde immer zum Skeptiker, wenn jemand sich selbst zum moralischen Maßstab erklärt, denn dies ist oft das letzte Argument.

Glauben Sie mir, wir Piraten haben selbst erlebt, wie schnell man der Versuchung erliegt und ich gestehe aufrichtig ein, dass auch wir als Neulinge, die es anders und besser machen wollten, genau an dieser Stelle Fehler gemacht haben. Wir haben die Kritik dazu angenommen. Das erwarten wir jetzt auch von anderen, die uns den Spiegel vorgehalten, die uns zu Demut verpflichtet haben.

Besinnen Sie sich, verehrte Kollegen von der Koalition auf ihren Koalitionsvertrag – dort steht eigentlich alles Wesentliche drin. Weil Sie das offenbar vergessen haben, legen wir es Ihnen heute noch mal als Antrag vor.

Albert Schweitzer hat einmal formuliert: »Nie dürfen wir abgestumpft werden. In der Wahrheit sind wir, wenn wir die Konflikte immer tiefer erleben. Das gute Gewissen ist eine Erfindung des Teufels.«

Seien wir also alle zusammen vorsichtig damit, uns zu den einzigen Moralischen hier zu erhöhen, seien wir vorsichtig damit, jedem den belehrenden Zeigefinger zu zeigen und die einzige Wahrheit für uns selbst zu reklamieren.

Und darum appelliere ich noch einmal: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Debatten wie diese in dieser Art und Weise in diesem Hause nicht mehr stattfinden. Sorgen Sie, Herr Albig, dafür, dass Politik wieder möglich wird. Sorgen Sie für stabile Verhältnisse in diesen Land. Sorgen Sie für Vertrauen.

Damit ich mich weder als Politiker noch als Bürger Schmidt dafür schämen muss.

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