Wolfgang Dudda: Mindestlohn nur mit Mitbestimmung

Zum Vorhaben der Landesregierung für Betriebe mit Landesbeteiligung und für Einrichtungen, die vom Land bezuschusst werden, einen Mindestlohn von 8,88 Euro durchzusetzen, erklärt der Sozialpolitische Sprecher der Piratenfraktion, MdL Wolfgang Dudda: „Der Entwurf der Koalition schließt die Mitwirkung der Gewerkschaften aus und überlässt es der sozialpolitischen Einschätzung der jeweiligen Landesregierung, wie hoch ein Mindestlohn sein soll. Allein der Verdacht der Willkürlichkeit muss dabei werden, wenn das Instrument Mindestlohn nicht Schaden nehmen soll. Deshalb haben wir in unserem Änderungsantrag eine Mindestlohnkommission eingefügt, die in bester Tradition der Konzertierten Aktion den gesamtgesellschaftlichen Konsens für den jeweiligen Mindestlohn bestimmen soll.“

MdL Dudda begrüßt das Vorhaben der Landesregierung, hält es jedoch unter dem Gesichtspunkt der Mitbestimmung für dringend verbesserungsfähig. Dudda hält den Mindestlohn für ein „gesamtgesellschaftliches Muss“ und für eine Brückentechnologie auf dem Weg zu dem von den Piraten geforderten „Bedingungslosen Grundeinkommen.“ Scharfe Kritik übt Dudda auch an „genderbedingter Schlechterbezahlung“ von Frauen.

[Für den nachfolgend wiedergegebenen Redetext des MdL Dudda gilt: Sperrfrist bis zur Beendigung der Rede im Plenum des Schleswig-Holsteinischen Landtags. Es gilt das gesprochene Wort!]

Anrede!

Den Gesetzentwurf der Koalition zur Mitbestimmung im öffentlichen Dienst begrüßen wir Piraten ausdrücklich. Er stellt eine verbesserte Rückkehr zu dem dar, was bundesweit üblich ist und hier auch üblich war.

Dass die Koalition diesen Entwurf zu diesem Zeitpunkt vorlegt, finden wir besonders gut, denn, wie wir alle wissen, kommt auf den öffentlichen Dienst in den nächsten Jahren eine Herkulesaufgabe zu. Er soll mit viel weniger Kräften bei noch unklarer Aufgabenreduzierung das Funktionieren des öffentlichen Gemeinwesens garantieren. Dabei wird es zu Schließungen von Dienststellen und erheblichen Personalumschichtungen kommen. Das braucht einen echten und wirksamen Personalrat. Anders wird sich der Stellenabbau nicht sozialverträglich gestalten lassen.
Die Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst haben mir gegenüber erklärt, dass sie mit dem Entwurf der Koalition einverstanden sind. Im Wissen um die radialen Personalveränderungen, die auf den öffentlichen Dienst in unserem Land zukommen, sind sie bereit, sich konstruktiv durch ihre Personalräte einzubringen.

Um dies fachkundig tun zu können, organisieren die Gewerkschaften die Aus- und Fortbildung der Personalräte. Dafür braucht es die entsprechenden Freistellungen. Das wird Geld kosten. Dieses Geld muss das Land jedoch in die Hand nehmen, wenn es als Arbeitgeber auch im Punkt Mitbestimmung so vorbildlich sein will, wie es sich beim Mindestlohn zeigen will. Nach unserer Auffassung werden sich die Kosten, die das Mitbestimmungsgesetz auslösen wird, im kommenden Jahr in sehr überschaubaren Größenordnungen halten. Der Mehrwert, der sich durch besser partizipierende und damit wohl auch besser motivierte Mitarbeiter ergibt, rechtfertigt diese Mehrausgaben allemal.

Wir Piraten fordern die Landesregierung jedoch auch gleichzeitig auf, die sich aus dem Gesetzentwurf ergebende Mitbestimmung auch mit dem Geist zu leben, der für ein echtes Miteinander von Arbeitgeber und Personal erforderlich ist. Nehmen Sie die Ideen ernst und Sorgen der Personalräte auf, wenn Sie sich daran machen, den Personalabbaupfad zu beschreiten! Gestalten Sie den Personalabbau gemeinsam mit den Beschäftigten! Ohne die Expertise und das Engagement der Beschäftigten wird der riesige Personalabbau nicht zu gestalten sein.

Vor diesem Hintergrund wiederhole ich mich gerne und sage, dass wir Piraten den Entwurf der Koalition zum Mitbestimmungsgesetz gerade zu diesem Zeitpunkt – vor den umfangreichsten Personalmaßnahmen, die dieses Land jemals erlebt hat – begrüßen.

Wenn die Koalition den Geist des Mitbestimmungsgesetzentwurfes auf ihren Gesetzentwurf zum Mindestlohn übertragen hätte, könnten wir diesen Entwurf genau so gut mittragen und befürworten. Weil das nach unserer Auffassung jedoch nicht voll umfänglich geschehen ist, haben wir dazu unseren Änderungsantrag vorgelegt. Er beinhaltet den Mindestlohn mit einer deutlich verbesserten Beteiligung der Beschäftigten.

Lassen Sie mich zunächst auf den Mindestlohn an sich eingehen. Er ist ein gesamtgesellschaftliches Muss, an dem kein Weg vorbei führt! Und es ist sehr wohl – anders als es der Entwurf der CDU-Fraktion erkennen lässt – die Aufgabe des Staates, sicherzustellen, dass die Menschenwürde auch für die Arbeit und deren Entlohnung uneingeschränkt gilt. Wer voll berufstätig ist, darf nicht unter der Armutsgrenze leben und auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein! Dieser Anspruch ist im öffentlichen Dienst genau so zu erfüllen wie auf dem freien Markt!

Nur so ist eine Existenz und gesellschaftliche Teilhabe in menschenwürdiger Weise möglich. Weil aber der Mindestlohn allein nicht die gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart und Zukunft lösen kann, sehen wir Piraten ihn als Brückentechnologie an. Angesichts der sich umkehrenden Alterspyramide und des stetig weiter zunehmenden Abbaus von Arbeitsplätzen setzen wir uns für ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe ein, das sich unter dem Oberbegriff „Bedingungsloses Grundeinkommen“ im Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Wir wollen dies durch eine Enquete des Bundestages unter Beteiligung aller Experten und Betroffenen prüfen lassen und dabei dann den besten Weg zur Umsetzung finden. Das ist ein Projekt, das mittelfristig angelegt werden soll.

Bis dahin befürworten wir also den Mindestlohn als Zwischenlösung. Aber auch für ihn wünschen wir uns die Beteiligung aller davon Betroffenen. Damit sind wir bei dem Punkt, den wir Piraten im Gesetzentwurf der Koalition durch unseren Änderungsantrag verbessern wollen.

Wenn die Lohnentwicklung in unserer Gesellschaft so übel ist, dass der Staat durch ein Mindestlohngesetz eingreifen muss, dann ist dieses Gesetz natürlich streng betrachtet auch ein Eingriff in die Tarifautonomie. So lange, wie die Ergebnisse der Tarifautonomie prekäre Beschäftigungsverhältnisse und die Notwendigkeit des „Aufstockens“ durch menschenwürdige gerechte Löhne verhindern konnte, war es nicht nötig, sich Gedanken über ein Mindestlohngesetz zu machen. Weil sich genau das aber in den letzten Jahren radikal zum Nachteil der Beschäftigten verändert hat, muss gehandelt werden.

Dieses Handeln muss sich allerdings daran messen lassen, ob es den Geist der Tarifautonomie lebt und umsetzt. Tut es das nicht, so beschädigt und schwächt es dieses bewährte Instrument der partnerschaftlichen, verantwortungsvollen Lohngestaltung. Dann ist ein Mindestlohngesetz unserer Auffassung nach sogar kontraproduktiv, wenn sich private Arbeitgeber daran orientieren so frei, wie es die Landesregierung künftig tun können soll, Mindestlöhne festzulegen.

Diesen Mangel behebt unser Änderungsantrag zum Gesetzentwurf der Koalition. Die von uns vorgeschlagene Mindestlohnkommission befreit diesen Gesetzentwurf vom Verdacht, die Tarifautonomie aushebeln zu wollen und willkürlich Löhne zu gestalten zu können. Die Mindestlohnkommission entspricht dem Geiste nach der Konzertierten Aktion, die in den ausgehenden 60er Jahren des vergangenen Jahrhundert praktiziert wurde. Der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller bezeichnete dies als „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“. An ihm saßen die Regierung, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände. In gemeinsamer Verantwortung sollten so die sozialen und wirtschaftlichen Probleme angegangenen werden.

Und genau so sollte künftig der Mindestlohn bei uns festgelegt werden. Die Landesregierung sitzt als Arbeitgeber fachkundig vertreten durch je einen Vertreter aus dem Finanz- und Wirtschaftsministerium und einen weiteren Vertreter den Gewerkschaften auf Augenhöhe gegenüber ergänzt durch von beiden Seiten zu bestimmende Vertreter anderer gesellschaftlicher Gruppen. Geleitet werden soll dieses Gremium durch einen von Arbeitnehmern und Arbeitgeber gemeinsam bestimmten weiteren Vertreter einer gesellschaftlichen Gruppe.

Die anderen Inhalte unseres Änderungsantrages komplettieren diesen gedanklichen Ansatz, ohne den Grundansatz des Entwurfes der Koalition zu verändern.

Den vorhin von mir in Erinnerung gerufenen „Tisch der gesellschaftlichen Vernunft“ brauchen wir in diesem Land auch an vielen anderen Stellen. Und an ihm müssen mehr Leute aus noch mehr gesellschaftlichen Gruppen sitzen als damals in den 60er Jahren. Etwas mehr als ein Jahrzehnt, nachdem die Arbeitserlaubnis der Ehefrau durch den Ehemann abgeschafft worden war, war das gesellschaftliche Bewusstsein noch nicht ausgeprägt genug vorhanden, dass Frauen auch an diesen Tisch gehören.

Dafür, dass Frauen hierzulande nicht selbstverständlich das gleiche Geld für gleiche Arbeit bekommen, muss wir uns schämen. Die Fadenscheinigkeit von Argumenten erreicht ihre Schöpfungshöhe, wenn wir uns anschauen, wie arbeitgeberseitig begründet wird, warum Frauen für die gleiche Leistung weniger Geld als ihre männlichen Kollegen bekommen sollen. Das widerwärtigste „Lohnsparalibi“ der Arbeitgeber unter vielen anderen ist wohl, dass Frauen familienbedingt häufiger ihre Erwerbstätigkeit reduzieren.

Diesen Perversionen der Lohngestaltung müssen wir genau so entschlossen begegnen, wie wir es heute mit dem Mindestlohn tun. Es ist schlimm, dass wir uns hier im 21. Jahrhundert überhaupt noch damit beschäftigen müssen!

Aber, wir müssen das tun. Die Spirale der genderbegründeten Schlechterbezahlung setzt sich in übelster Weise nach unten fort und erfasst ganz besonders diejenigen Frauen, die sich noch schlechter als ihre deutschen Kolleginnen dagegen wehren können: die Migrantinnen. Dazu haben wir auf der Veranstaltung des Flüchtlingsbeauftragten zur Lage der Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt vor wenigen Tagen in diesem Hause entsetzliche Zahlen gehört.

Wenn es richtig ist, dass sich die tatsächliche gesellschaftliche Stärke eines demokratischen Gemeinwesens daran zeigt, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht, bekleckern wir uns gerade an dieser Stelle wahrlich nicht mit Ruhm.

Lassen Sie uns also alle gemeinsam dafür sorgen, dass Frauen rechnerisch nicht erst ab 20. März eines jeden Jahres die Lohnhöhe ihrer männlichen Kollegen erreichen, sondern bereits am 1. Januar. Je öfter wir diese Lohnungerechtigkeit öffentlich geißeln, umso weiter rücken wir Arbeitgeber, die sie praktizieren ins moralische Aus. Je höher der gesellschaftliche und moralische Druck wird, umso schwächer werden die Lohndiebe. Daran müssen gerade wir uns beteiligen, wenn wir unserer Vorbildfunktion gerecht werden wollen – in Worten und in Taten.

Ich danke, denen, die mir zugehört haben, für ihre Aufmerksamkeit und denen, die das nicht getan haben, für die Möglichkeit, ihre Gespräche akustisch verdecken zu dürfen.

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