Piraten übernehmen Verantwortung in Schleswig-Holstein

Gastbeitrag von Johannes Ponader, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei

+++  Piratenfraktion in Schleswig Holstein hat mit inhaltlicher Arbeit begonnen  +++  Konstruktive inhaltliche Zusammenarbeit mit der Regierungskoalition angeboten  +++  Piraten bringen Transparenz in den schleswig-hosteinischen Landtag  +++  Leihstimmen aus der Opposition  +++  Regierungsbildung führt zum Einzug eines weiteren grünen Grundeinkommensbefürworters in den Bundestag  +++

Die Piratenfraktion in Schleswig-Holstein hat ihre inhaltiche Arbeit rasch und in inhaltlicher Breite aufgenommen. Die sechs Abgeordneten boten in ihren ersten parlamentarischen Reden in der Sitzung am 13. Juni dem neugewählten Ministerpräsidenten Torsten Albig eine kritische inhaltliche Mitwirkung bei den anstehenden politischen Projekten an. Sie verwiesen dabei auf zahlreiche Punkte des Koalitionsvertrags, bei denen von Seiten der Piratenpartei grundsätzliche Zustimmung besteht, und merkten gleichzeitig notwendige Konkretisierungen und Ergänzungen an.

Torsten Albig wurde am Tag zuvor mit einer komfortablen Mehrheit von 37 Ja-Stimmen bei 30 Gegenstimmen, einer ungültigen Stimme und einer Enthaltung zum Ministerpräsidenten gewählt. Da die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und SSW nur über 35 Abgeordnete verfügt, hat Albig dabei mindestens zwei Stimmen aus der Opposition erthalten. Die Piratenpartei hatte bereits im Vorfeld angekündigt, eine inhaltlich sinnvolle Politik sachbezogen zu unterstützen und grundsätzlich mittragen zu wollen.

Das Abstimmungsergebnis lässt jedoch auch Raum für die Annahme, dass Albig ohne Stimmen aus der Opposition überhaupt keine eigene Mehrheit erzielt hätte. Parlamentarier wissen, wie man einen Stimmzettel ausfüllt und wie man dort seinen Willen kundtut. Eine ungültige Stimme ist daher normalerweise nicht als Versehen, sondern als Statement aufzufassen – ein Statement, das vermutlich aus den Reihen der Regierungsparteien selbst stammen dürfte. Albig wurde also aller Wahrscheinlichkeit nach mit Stimmen aus der Opposition zum Ministerpräsidenten gemacht. Er weiß damit, dass er auch weiterhin auf eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Oppositionsparteien angewiesen sein wird und ist daher so klug, die in den letzten Jahren entstandenen Gräben zwischen den Parteien zu schließen. Dies kann einer konstruktiven politischen Kultur nur förderlich sein.

Im Zusammenhang mit der Regierungsbildung zeigt sich, dass die Piratenpartei mit ihren Kernforderungen nach Transparenz und mehr Bürgerbeteiligung ernst macht. Alle Besprechungen im Vorfeld und Nachgang der Wahl wurden live ins Internet übertragen und stehen als Aufzeichnungen auf der Homepage der Piratenfraktion zur Verfügung.

Auch die erste Plenarsitzung nach der Wahl wurde von den Mitgliedern der Fraktion aufgezeichnet, sofort live ausgestrahlt und zeitnah auf der Fraktionswebseite veröffentlicht. Sie ergänzten damit das offizielle Angebot des Landtags, das die Erwartungen an ein modernes Streaming vor allem im Hinblick auf die Audio-Übertragungen bislang nicht immer erfüllt.

Der Koalitionsvertrag wurde zuvor von Mitgliedern der Piratenpartei im Wiki auf Übereinstimmung mit der Programmatik der Piraten untersucht und anschließend von 250 Mitgliedern der Partei in einer detailiierten Basisbefragung bewertet.

Nicht 69 Parlamentarier haben zusammen mit der Wahl von Torsten Albig damit über den Koalitionsvertrag abgestimmt, sondern 69 Parlamentarier und 250 politisch engagierte Bürger. Diese Bürger haben die Möglichkeiten der Mitbestimmung genutzt, die die Piratenpartei bietet.

Diese Mitbestimmung hört jedoch nicht bei der Abstimmung über den Koalitionsvertrag auf, sondern setzt sich in der Möglichkeit zur kontinuierlichen Einflussnahme auf die inhaltlichen Arbeit über fünf Jahre fort. Ich bin sicher: Je mehr die Bürger von Schleswig-Holstein verstehen, wie deutlich und unmittelbar ihr Einfluss auf die schleswig-holsteinische Landespolitik ist, sobald sie sich in die Piratenpartei einbringen, umso größer wird auch die Bedeutung unserer Partei in der politischen Landschaft.

Bei der Basisabstimmung zur Ministerpräsidentenwahl votierten 62% der beteiligten Piraten für eine Wahl von Torsten Albig zum Ministerpräsidenten. Unterstellt man, dass die Piraten bei einer Enthaltung mit drei Stimmen für und mit zwei Stimmen gegen Albig gestimmt haben könnten, würde dies ziemlich genau das Basisvotum widerspiegeln.

Auch im Vorfeld der Ministerpräsidentenwahl konnten die Piraten bereits politische Akzente setzen. So unterzeichneten sie als bislang einzige Abgeordnete des schleswig-holsteinischen Parlaments eine Erklärung, mit der sie sich einer international seit längerer Zeit geforderten Verschärfung des Paragraphen 108e zur Abgeordnetenbestechung freiwillig unterwerfen.

Im Zuge der schleswig-holsteinischen Regierungsbildung ergab sich auch eine Veränderung im Deutschen Bundestag. Die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle wurde als Staatssekretärin nach Kiel gerufen. Für sie rückt Arfst Wagner in den deutschen Bundestag nach.

Mit Arfst Wagner zieht ein streitbarer grüner Politiker in den Bundestag ein, für den eine konstruktive parteiübergreifende Zusammenarbeit kein Fremdwort ist. So besuchte er beispielsweise im April den Bundesparteitag der Piratenpartei in Neumünster, um sich dort über die Arbeit der Bundespartei zu informieren.

Arfst Wagner engagiert sich seit längerem für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens, für die sich die Piratenpartei in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013 ausspricht. Aus diesem Anlass haben wir in den nächsten Wochen ein Gespräch zusammen mit Wolfgang Strengmann Kuhn, der sich als Mitglied der grünen Bundestagsfraktion ebenfalls für eine moderne Sozialpolitik einsetzt, vereinbart.

Quelle

4 Kommentare

4 Kommentare

  • 1
    Martin Drees
    1. Juli 2012 um 21:20 Uhr

    Dass das Abstimmungsergebnis zur MP-Wahl Raum für die Annahme bietet, Albig habe keine eigene Mehrheit, entbehrt ein wenig jeder Logik. Es ist vielmehr die fehlende Transparenz seitens der Piraten-Abgeordneten, die hier Raum für Fantasie lässt.
    Unterstellt man, dass die Abgeordneten von CDU und FDP gegen Albig waren und die von SPD, Grünen und SSW für ihn gestimmt haben, kann das Ergebnis auch so gedeutet werden: Keiner weiß wofür die Piraten stehen. Die 62 % der Basis finden sich nicht im Ergebnis wieder und ein/e Pirat/in war zu blöde den Stimmzettel auszufüllen.
    Sorry, aber wildes Spekulieren hilft wirklich niemandem weiter und wirkt eher etwas albern. Vielmehr würde hier Transparenz die Möglichkeit zum offenen Diskurs bei der Bewertung von Entscheidungen von solch großer Tragweite bieten.

    • 2
      Jacky Neiwel
      1. Juli 2012 um 21:32 Uhr

      https://www.piratenfraktion-sh.de/12-6-12-nachbesprechung-zur-wahl-des-ministerprasidenten-2/

      Der Stream dort schafft genug Transparenz. Ich halte es tatsächlich für sehr wahrscheinlich, dass so abgestimmt wurde, wie Johannes es in Erwägung zieht.

      • 3
        Martin Drees
        2. Juli 2012 um 12:24 Uhr

        Den Stream kann ich leider nicht starten, da ich an einem Dienstrechner sitze, der dies nicht erlaubt. Ansonsten kann ich den Kommentar von Dr.h.c.Kaboom zur Albig-Wahl nur unterstreichen. Was spricht eigentlich dagegen, dass ein gewählter Abgeordneter sein Abstimmungsverhalten offenlegt und seine Meinung dann begründet und vertritt? Wie soll ich als Wähler entscheiden, ob ich diesen Abgeordneten wieder wählen möchte, wenn ich nicht weiß, wie er/sie in Abstimmungen agiert?

      • 4
        Jacky Neiwel
        2. Juli 2012 um 16:40 Uhr

        Im Stream wird im wesentlichem von der Fraktion gemunkelt, dass mehr als 2 Abgeordnete unter ihnen für Albig gestimmt haben dürften.

        Ansonsten haben sich die Saarpiraten bereits umfassend über die Mittel der geheimen Abschaffung geeignet. Es stellt einen Schutz der ANDEREN Abgeordneten dar:

        http://piratenfraktion-saarland.de/2012/05/abstimmverhalten-der-piratenfraktion-bei-der-wahl-der-ministerprasidentin-am-09-05-2012/

        Abstimmverhalten der Piratenfraktion bei der Wahl der Ministerpräsidentin am 09.05.2012
        Veröffentlicht am 9. Mai 2012 von piratenfraktion

        Einige Worte zur Klärung, weil es darüber in der Öffentlichkeit Verwirrung gab:

        Punkt 1: Wir Piraten stimmen frei nach unserem Gewissen ab, ohne Fraktionszwang.

        Punkt 2: Andere Fraktionen sehen es nicht gerne, wenn ihre Abgeordneten nicht im Rahmen einer “Fraktionsdisziplin” abstimmen. Dies kritisieren wir.

        Aufgrund unseres uneinheitlichen Abstimmverhaltens in Kombination mit der geheimen Wahl, haben wir es den anderen Abgeordneten ermöglicht, ebenfalls frei nach ihrem Gewissen abzustimmen, da für ihre Fraktionen nicht mehr nachvollziehbar ist, wer nun anders abgestimmt hat. Wir haben also eine Art “Abstimmschutzschirm” aufgespannt.

        Die geheime Wahl hat übrigens nichts mit Transparenz zu tun. Die Wahl an sich bleibt schließlich nachvollziehbar. Sobald ein Wähler in der Demokratie sich oder andere durch die öffentliche Stimmabgabe zu einem Abstimmverhalten gegen sein Gewissen genötigt sieht, muss die geheime Wahl möglich sein.

        Über die Freude, dass unser “Abstimmschutzschirm” mindestens einer oder einem Abgeordneten dazu verholfen hat, Abseits der der Fraktionszwänge abzustimmen, ist mir (Michael Hilberer) leider herausgerutscht, dass mindestens eine oder ein Pirat für die Ministerpräsidentin gestimmt hat. Dies tut mir leid, natürlich achte auch ich die geheime Wahl und wollte hier auch nicht populistisch einen “Erfolg” kundtun.

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